Der Mythos der ewigen Verbesserung

Die Herbstsonne leuchtet am Alpenhorizont und die Tannenbäume ragen hoch in den tiefblauen Himmel. Der Abend naht. In der Talsohle sind leise Sägegeräusche zu hören. Ein Holzfäller bemüht sich, eine der hohen Kiefern abzusägen. Ein Wanderer fragt den Arbeiter: «Du siehst erschöpft aus, warum machst du nicht eine Pause und schärfst deine Säge?» Der Holzfäller erklärt, dass die Sägearbeit den ganzen Tag gedauert habe und dass noch viel zu tun sei. Er habe keine Zeit, seine Säge zu schärfen.

Stephen Covey wählt dieses Bild als eine seiner sieben Gewohnheiten sehr effektiver Menschen. Die vielzitierte Geschichte beantwortet die Frage, wie wir alle an die Arbeit herangehen sollten: «Work smart, not hard!». Die eigentliche Frage, warum man nach dieser Optimierung streben sollte bzw. was das gute Leben ist, bleibt jedoch unbeantwortet.

Mehr von allem

Diese Frage wird in unserer materialistischen Gesellschaft auch nicht abschliessend beantwortet. Eines der einzigen Axiome, auf die wir uns einigen konnten, ist, dass mehr von allem super ist. Ob jung oder alt, reich oder arm, männlich oder weiblich – wir alle werden ermutigt, uns zu optimieren. Wir sollen «den Tag nutzen» (carpe diem) und uns ständig daran erinnern, dass «man nur einmal lebt» (YOLO).

In vielen Fällen ist Effizienzsteigerung sinnvoll. Zum Beispiel bei der Optimierung von Motoren, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Doch das menschliche Leben ist kein Motor. Im schlimmsten Fall führt eine Optimierung dessen zu einer Beschleunigung des Alltags. Ein rasendes Tempo ist für uns auf Dauer aber kein natürlicher Zustand. Das Leben ist vielmehr eine Reise als ein Sprint. Dabei ist die Schöpfung das beste Beispiel für ein System, das «für das Leben optimiert» ist. Biologisches Leben beruht auf Redundanz, Überfluss und Fülle und entzieht sich unserer Fähigkeit, es zu definieren und zu kontrollieren.

Was ist die Lösung?

Die christliche Antwort auf das Problem der leistungsorientierten Identitätsbildung klingt simpel: Widerstehe der Versuchung, deine Identität auf Leistung zu gründen. Lass dich von Gott in eine Identität hineinlieben, die nicht auf Leistung, sondern auf Gnade und Beziehung beruht. (Einen genialen Vortrag von Heiner Schubert zu diesem Thema gibt es hier.)

In der Praxis haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Umsetzung dieses Ziels jedoch alles andere als einfach ist und verschiedene praktische Massnahmen und vor allem viel Ausprobieren erfordert. Einer der vielzähligen Ansätze, die uns begeistern, ist die uralte jüdisch-christliche Idee der Sabbatruhe. Die Sabbatruhe ist ein direkter Gegenpol zum Materialismus. Der Gedanke, 14 % der eigenen Lebenszeit nicht produktiv zu nutzen, ist ein wirtschaftliches Verbrechen. Mit dieser ungeheuerlichen Massnahme kann aber eine kritische Distanz zu unserem System geschaffen werden.

Jesus sagt, der Sabbat sei für die Menschen gemacht, nicht die Menschen für den Sabbat. Eine strenge Liste von Dingen, die man tun oder lassen sollte, kann also nicht das Ziel sein. Viel eher finden wir die Frage spannend, wie wir am Sabbat einen un-optimierten Raum für Beziehungen zu unserem Schöpfergott und unseren Mitmenschen schaffen können.