Warum es auch in Bildungsinstitutionen Raum für Religion braucht

 

Eine atheistische Sichtweise ist nicht neutral. In einer zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft ist es essentiell, dass gerade junge Menschen ein religiös-weltanschauliches Gespür entwickeln, Denkweisen einzuordnen vermögen und Orte haben, an denen sie ihre eigenen existenziellen und weltanschaulichen Fragen klären können. Die Angebote der VBG und insbesondere der Fachkreis Pädagogik bieten dabei eine nicht zu unterschätzende Hilfe.

 

Die Forderung nach religiöser Neutralität tangiert die VBG sehr direkt an zwei Punkten. Zum einen gibt es Stimmen, die es als Verstoss werten, wenn sich an einer Universität, einer Pädagogischen Hochschule oder einer Mittelschule christliche Gruppen treffen. In seinem ausgezeichneten Artikel plädiert Hans Michael Heinig in diesem Fall für eine Sicht der Bildungsinstitution als «Lebensraum», die Ernährungsgewohnheiten oder psychologische Bedürfnisse genauso berücksichtigt wie religiös-weltanschauliche Interessen. Zum anderen ist die religiöse Neutralität des Staates ein Schlüsselthema für christliche Lehrpersonen an öffentlichen Schulen. Um sie in ihrer Aufgabe zu unterstützen, gibt es den Fachkreis Pädagogik der VBG. Mit Regionaltreffen und einer jährlichen Kurswoche während den Herbstferien ermutigt der Fachkreis zu einem korrekten und behutsamen Umgang mit dem Thema Glaube und Religion im Schulkontext. Neben den Treffen für Lehrpersonen und PH-Studierende gibt ein monatliches Rundmail Impulse für christlich motivierten Unterricht.

Hinter all diesen Aktivitäten steht die Überzeugung, dass die religiöse Neutralität des Staates eine gute und wichtige Errungenschaft ist, die aber oft falsch verstanden wird. Dass der Staat zu religiöser Neutralität verpflichtet ist, bedeutet nämlich in erster Linie, dass der Staat nicht für die Angehörigen einer bestimmten Religion Partei ergreifen darf. Dieser Grundsatz steht nicht explizit in der Bundesverfassung, wird vom Bundesgericht im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie dem Diskriminierungsverbot aber als verbindliches Recht anerkannt, auf das man sich berufen kann.1

Die kulturelle Prägung des Staates

Dass der Staat in religiösen Dingen parteilos sein muss, bedeutet keineswegs, dass religiöse Gemeinschaften nicht beurteilt werden können. Dabei müssen jedoch andere Argumente ins Feld geführt werden als religiös-theologische, etwa die historische Bedeutung einer Religionsgemeinschaft oder die Vereinbarkeit ihrer Aktivitäten mit den demokratischen Werten des Staates. Hier wird auch die Bedeutung des Wortes «neutral» erkennbar, das sich vom lateinischen neuter ableitet, «weder das eine noch das andere»: Als Negativdefinition bezeichnet die Neutralität des Staates lediglich, wie der Staat nicht sein soll. Jeder Staat weist zwingend bestimmte kulturelle Prägungen auf und weiss sich bestimmten Werten verpflichtet.

So hat auch die klare Unterscheidung zwischen reli­giösen und nicht-religiösen Belangen, die sich in unserer Gesetzgebung findet, ihre tiefsten Wurzeln im jüdisch-christlichen Verständnis einer von Gott erschaffenen Welt: Der Schöpfer ist nicht Teil der Schöpfung – aber das ist für die Menschen nur deshalb erkennbar, weil Gott sich offenbart und in das Weltgeschehen eingreift. (Ähnliche Überlegungen standen am Anfang der westlichen Wissenschaft, die Ordnung und Regelmässigkeit von Gottes Schöpfung zu verstehen suchte.)

Das staatliche Neutralitätsgebot ist also keineswegs gleichzusetzen mit einer religionsfreien Gesellschaft. Das öffentliche Leben als Abbild der Gesellschaft wird immer von der Religiosität der Bevölkerung geprägt sein. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass eine atheistische Weltanschauung in irgendeiner Weise «neutraler» sei als z.B. eine christliche. So kann man es durchaus als Einschränkung der Religionsfreiheit betrachten, wenn etwa im Rahmen einer Konzentrationsübung im Unterricht postuliert wird, dass der Fokus einzig auf die eigene Person und ihre Möglichkeiten zu richten sei. Eine solche Aussage fusst auf einer Weltanschauung, die nicht von einem aktiven göttlichen Gegenüber des Menschen ausgeht – und das ist in sich selber eine religiös aufgeladene Sichtweise, die weit entfernt von jeglicher Neutralität ist.

Es erstaunt nicht, dass die Schule immer wieder im Brennpunkt der Neutralitätsforderung steht. Im Leben einer Person ist der Staat selten so direkt involviert wie während der obligatorischen Schulzeit – und das erst noch in einem Alter, in dem sie stark beeinflussbar ist. Lehrpersonen versehen ihre Arbeit im Auftrag des religiös neutralen Staates, haben aber gleichzeitig das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und unterstehen dem Diskriminierungsverbot. Die Schlüsselfrage ist somit, ob Schülerinnen und Schüler unterscheiden können, ob die Aussage einer Lehrperson als persönliche Überzeugung oder als staatlicher Standpunkt zu verstehen ist. Doch auch die Eltern sind in die Überlegungen einzubinden. Sie verfügen bis zum 16. Lebensjahr über die religiösen Erziehung der Kinder, aber nicht schrankenlos. Das Kind hat Anteil an der Religionsfreiheit. Ebenso ist darauf zu achten, dass keine Verletzung des Kindswohles geschieht.

Raum für Fragen

In einer zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft ist es essentiell, dass junge Menschen ein religiös-weltanschauliches Gespür entwickeln und verschiedene Denkweisen einzuordnen vermögen. Damit dies geschehen kann, braucht es nicht zuletzt Lehrpersonen, die sich mit ihren eigenen existenziellen und weltanschaulichen Fragen auseinandersetzen und diese auch im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, Eltern oder Schulleitungen thematisieren können. In diesem Prozess sind die verschiedenen Angebote der VBG und insbesondere des Fachkreises Pädagogik für christliche Lehrpersonen eine unabdingbare Hilfe und Unterstützung.

Als Christinnen und Christen bezeugen wir, dass Jesus Herr des Universums ist. Sollte dies tatsächlich so sein, dann hat der christliche Glaube eine Relevanz für alle Lebensfelder, für die tägliche Lebensführung genauso wie für Unterrichtsmethoden oder philosophische Grundüberlegungen. Die Erkenntnisse, die der Begegnung mit dem dreieinen Gott entspringen – «in ihm leben, weben und sind wir», übersetzte Luther (Apostelgeschichte 17, 28) –, dürfen und sollen wir als lohnenswerten Beitrag in die gesellschaftliche Diskussion einbringen.