Unrecht in Gottes Namen
Ich habe die Aussage oft gehört: «Es geschah schon so viel Unrecht im Namen Gottes!» Was soll man da antworten? Ja, im Namen des Christentums wurde Schreckliches verübt, das darf nicht verleugnet oder beschönigt werden. Mir fällt aber auf, wie vage die Aussage ist. Um welches Unrecht geht es denn genau? In welchem spezifischen historischen Kontext spielten sich die Szenen ab?
Doch auch auf einer allgemeinen Ebene kann man die Aussage relativeren. Denn: Unrecht gibt es in allen Religionen und – mindestens genauso! – auch in religionslosen Gesellschaften. Es scheint also eher ein Problem des Menschen zu sein (Stichwort: «Sünde») als ein Problem der Religion, geschweige denn des Christentums.
Tatsächlich können Religionen Hass, Diskriminierung oder Gewalt legitimieren. Beim Christentum gibt es aber einige zentrale Aspekte, die dem diametral entgegenwirken.
Die grösste Religions- und Kirchenkritik kommt von innen, aus dem Zentrum, von Jesus Christus, der aufs schärfste die Heuchelei und Selbstgerechtigkeit der religiösen Elite seiner Zeit, aber auch Ausgrenzung, Gewalt oder Machtmissbrauch jeglicher Art kritisierte.
Diese Linie findet sich in der ganzen Kirchengeschichte. So rief auch Martin Luther King angesichts des Rassismus vieler weisser Kirchen nicht dazu auf, dem christlichen Glauben abzuschwören, sondern ihn vielmehr ernster zu nehmen – weil er überzeugt war, dass dies das beste Mittel gegen Ungerechtigkeit und Fanatismus darstellte.
«Bei euch soll es nicht so sein»
Im Zentrum des Christentums steht einer, der seine Feinde liebte und seinen Mördern vergab. Der alle Menschen mit Würde und Wert ansah, und der seine Jünger lehrte: «Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch gross sein will, der soll euer Diener sein.»1
Timothy Keller schreibt dazu: «Wo Menschen im Namen Christi Unrecht begehen, handeln sie nicht im Geiste dessen, der selber als Opfer der Ungerechtigkeit starb und um Vergebung für seine Feinde bat.»
Ein Problem von Religion kann sein, dass man mit Selbstgerechtigkeit, Überheblichkeit und Verachtung auf Andersgläubige, Ungläubige, «Sünder» herabschaut. Eine Haltung, die in der christlichen Botschaft von Gnade und Vergebung wurzelt, sieht jedoch anders aus: Wir sind nicht bessere Menschen, sondern begnadigte Sünder. Verlorene Söhne und Töchter, die heimgekehrt sind. Wir erheben uns nicht über andere, sondern wünschen uns, dass sie – wie wir es selber erleben durften – heimkommen können zum himmlischen Vater. Und wir sind aufgefordert, ihnen zu dienen.
Einen solchen Glauben kann man niemandem aufzwingen. Daraus folgt, dass jegliche Form von «Zwangsmissionierung» oder schon nur Druck oder Manipulation a) nicht funktioniert und b) immer falsch ist im Zusammenhang mit christlicher Mission.
Nicht zuletzt darf man bei dieser Thematik betonen, wie viele positive Auswirkungen der christliche Glaube nicht nur auf einzelne Menschen, sondern auch auf ganze Gesellschaften und Kulturen hatte.
Der Publizist Peter Rothenbühler, der sich selbst als Atheist bezeichnet, räumte in einem Zeitungsartikel ein, dass «praktisch das gesamte Wertesystem der heutigen demokratischen Staats- und Rechtsordnung zurückgeht auf die zehn Gebote und auf die von Jesus Christus verkündeten revolutionären Prinzipien und Werte wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Verzeihung und vor allem die Gleichwertigkeit aller Menschen.»
Als historisches Fazit scheint mir das gar nicht so schlecht.