Nichts für Waschlappen

Geistliche Übungen sind Trainingseinheiten für das Glaubensleben.

«Gewohnheiten sind die Muskeln der Seele», sagt der Soziologe Arnold Gehlen. Um im Glauben zu wachsen, lohnt es sich, gezielt die Aktivitäten zu suchen und einzuplanen, die mich im Alltag immer wieder aus der «Gottvergessenheit» auftauchen lassen.

Dabei ist es ähnlich wie beim Sport: Ab und zu gibt es eine Intensiv-Trainingswoche und daneben die geplanten Übungsstunden durch die Woche verteilt. Wenn ich mir mit der Zeit ein gewisses Körpergefühl angeeignet habe, kann ich zudem bei jedem Aufstehen, Anheben oder Treppensteigen die richtigen Muskelgruppen aktivieren und so – oft unbewusst und in kaum merklichen Schritten – weiter wachsen und stärker werden.

«Geistliche Übung ist nicht ein einmaliger oder besonderer Akt, sondern lebt wie alle Übung sowohl von der Wiederholung des immer Gleichen als auch von der Dauer», schreibt Silke Harms in ihrem Buch «Glauben üben».

Der verwundete Offizier

Auf diese Zusammenhänge könnte Paulus anspielen, wenn er Timotheus zu geistlichen «Übungen» ermahnt: «Übe dich in der Frömmigkeit! Denn körperliche Übung nützt nur wenig, die Frömmigkeit aber ist nützlich zu allem».1

Im ausgehenden Mittelalter wurde dieser Vers für den baskischen Offizier Íñigo López wegweisend. Bei der Belagerung von Pamplona hatte eine französische Kanonenkugel dem 29-jährigen das Bein zerschmettert. Er kam mit dem Leben davon, doch zwang ihn die Verletzung zu einer unfreiwilligen Auszeit im Schloss seines Vaters.

Beim Lesen der Evangelien hatte Ignatius von Loyola, wie er später genannt wurde, ein Bekehrungserlebnis. In den folgenden Wochen und Monaten vertiefte er diese Erfahrung beim Bibellesen und im Gebet. Seinen Glaubensweg fasste er später im Buch «Geistlichen Übungen» (exercitia spiritualia) zusammen, dem bis heute massgebenden Werk über die nach ihm benannten «Exerzitien».

Im Verlauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Formen von Exerzitien etabliert. «Erfahrungen mit Gott mache ich oft dann, wenn ich den Raum und die Zeit für diese Erfahrungen offen halte», erklärt Ruth Maria Michel, die verschiedene Exerzitienangebote der VBG leitet.

So finden «Exerzitien im Alltag» meist im gewohnten Umfeld statt. Über mehrere Wochen hinweg – zum Beispiel während der Fastenzeit – arbeiten die Teilnehmenden ein Kursheft mit angeleiteten Übungen durch. Im Gegensatz dazu steht die Exerzitien-Retraite, die weg von zuhause und über mehrere Tage hinweg stattfindet.

«Wichtig ist, dass ich eine Form finde, die zu mir passt», betont Ruth Maria. «Kaum jemand von uns ‹hat Zeit› für geistliche Übungen. Ihre Kraft erfährt, wer sich dafür entscheidet und ihnen einen Platz im Alltag verschafft.» Ebenso sei es wichtig, sich eine gute geistliche Begleitung für die Exerzitien zu suchen.

Den Acker bearbeiten

Es wäre aber ein Missverständnis zu meinen, mit Exerzitien können man sich eine Gotteserfahrung erarbeiten, erklärt Silke Harms: «Die geistliche Übung hat das Ziel, den ‹Ackerboden Mensch› so zu bearbeiten, dass das Samenkorn des göttlichen Wortes auf guten Boden fallen kann. Je mehr dieser Boden durchackert und gepflegt wird, desto besser kann das göttliche Wort im Menschen wachsen, umso tiefer kann es wurzeln und schliesslich Frucht bringen.»

Für manche Christinnen und Christen weckt die Praxis der Meditation zudem Angst vor östlichen Einflüssen. Diese Angst sei unbegründet, ist Ruth Maria Michel überzeugt. «Es stimmt, dass manche Übungen von aussen betrachtet sehr ähnlich sind. Der grosse Unterschied liegt darin, dass fernöstliche Meditation stets die Leere und das unpersönliche ‹Es› sucht, die christliche Meditation aber das liebende Gegenüber in Jesus Christus.»