Auf Augenhöhe mit Gottes Sohn
Jesus war ein Meister des Wortes. Zu seinen rhetorischen Finessen zählen Aussagen, deren Radikalität und Kompromisslosigkeit keinen seiner Zuhörer kalt gelassen hat. Die Wortgewalt jenes Mannes aus Nazareth vermochte zu faszinieren, aufzurütteln und nicht selten auch zu empören. Der heutigen Bibelleserin ergeht es nicht anders.
Jesus war ein provokanter Lehrer, ein rebellischer Zeitgenosse und wurde als Volksaufwiegler für viele Menschen zum Stein des Anstosses. Seine Behauptung, kein Geringerer als der Sohn Gottes zu sein, grenzte an Vermessenheit. Die vermeintliche Arroganz, mit der er sich als «der Weg, die Wahrheit und das Leben» bezeichnete, weckte Widerstand. «Ohne mich könnt ihr nichts tun» – mit seinem Selbst- und Menschenbild eckt Jesus bis heute an.
Auch im Populismus spielen abenteuerliche Behauptungen eine zentrale Rolle. Dieser politische Stil entsteht oft in Phasen tiefgreifender Veränderungen und Umbrüche. «Charakteristisch ist eine mit politischen Absichten verbundene, auf Volksstimmungen gerichtete Themenwahl und Rhetorik. Dabei geht es einerseits um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, andererseits um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu eigenen politischen Zwecken.»
An der Spitze steht meist eine charismatische Persönlichkeit, die sich selbst zum Mass aller Dinge macht. Diese Führungsperson teilt die Welt in Gut und Böse ein: Komplexe gesellschaftliche Themen werden simplifiziert und emotional aufgeladen. Ängste und Vorurteile werden gezielt geschürt. Statt nach Lösungen zu suchen, werden Differenzen betont. Statt zu respektieren, wird diffamiert. Gleichzeitig versuchen Populisten, mit schmeichelhaften Versprechen die Gunst des Volkes – und damit der Massen – zu gewinnen. Letztlich geht es ihnen aber allein um Macht.
Jesus Christus war im ursprünglichen Sinn des Wortes ein Populist: ein Mann des Volkes (lat. populus = Volk): «Gott gibt sich zu erkennen. Er zeigt nicht nur, dass es ihn gibt, sondern wer er ist. Dabei stutzt er sich auf das einzige Mass zurecht, in dem er von Menschen nicht nur begriffen, sondern auch geliebt werden kann: das menschliche Mass, unser Mass. Gott begegnet uns auf Augenhöhe.» Im Gegensatz zu manch zeitgenössischem Politiker zählte Jesus sich aber nie zur führenden Elite. Es ging ihm weder um Herrschaftsansprüche noch um unlautere Machenschaften. Jesus war kein Volksverführer mit totalitären Mitteln. Er setzte nicht auf ideologische Gehirnwäsche, sondern forderte konsequent zu Diskussionen heraus. Statt mit dem Finger auf die Sündenböcke der Gesellschaft zu zeigen, setzte er sich mit ihnen an den Tisch. Statt die Menschen an den Pranger zu stellen, lud er sie in die Nachfolge ein. Statt menschliches Versagen herauszustreichen, plädierte er für eine Solidarität unter Sündern. Statt seine Gegner zu beschämen, entwaffnete er sie mit Liebe. Jesus scheute sich nicht, Klartext zu reden, und er ging auch Konflikten nicht aus dem Weg. Seine Mission aber war nichts weniger als Versöhnung. Und weil Jesus kein Mann der einfachen Rezepte, kein Freund von billigen Versprechen und verlockenden Abkürzungen war, kostete ihn unsere Rettung alles.