Bindungsängste

Warum totale Gewissheit keine gute Voraussetzung 
für den Glauben ist.

Ein guter Freund von mir, den ich schon viele Jahre aus einer christlichen Jugendgruppe kenne, steckt gerade mitten in einer echten Glaubenskrise. Ausgelöst durch verschiedene Lebensumstände sind bei ihm plötzlich Zweifel auf allen Ebenen aufgetaucht, bis hin zur grundlegenden Infragestellung der Existenz Gottes. In einem Gespräch erzählte er mir, wie er auf der Suche nach den besten Argumenten auch atheistische Talkshows und islamische Predigtvideos angeschaut hatte. «Weisst du, wenn ich schon alles auf eine Karte setze und mich für den christlichen Glauben entscheide, dann möchte ich auch ganz sicher sein, dass er stimmt.»

«Ich möchte ganz sicher sein»

Auf den ersten Blick kann ich diese Einstellung vollends teilen. Aus philosophischer Sicht habe ich die volle Überzeugung, dass der christliche Glaube wie keine andere Religion mit der Vernunft ergründet und erfasst werden kann. Oder wie es die grosse Denkerin und Ordensfrau Edith Stein einst formulierte: «Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.» Aus dieser Einstellung heraus beunruhigt mich ehrlicher Zweifel keine Sekunde.

In der Aussage meines Freundes entdeckte ich aber eine Problematik, welche mir in meinem stark vernunftsgeprägten Glaubensbild bislang noch nicht bewusst war. Wenn wir unseren Glauben auf handfeste Beweise und starke Argumente gründen möchten, ist das zwar eine gute Sache. Aber wenn wir dafür die totale Gewissheit voraussetzen, dann vergessen wir, dass unser Glaube an Gott eine Beziehung ist.

Kontrolle zerstört das Vertrauen

«Es prüfe, wer sich ewig bindet», heisst es und dies dürfte angesichts der hohen Scheidungsquote durchaus etwas ernster genommen werden. Die Frage bleibt jedoch, wann die Prüfung abgeschlossen ist. Wie viel muss ich wissen, damit ich mir sicher sein kann, dass der Ehepartner hält, was er verspricht? Als frisch Verheirateter kann ich sagen, dass ich die totale Sicherheit nie erreicht hatte und auch nicht erreichen wollte. «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» – wer in einer Beziehung an diesem Punkt angelangt ist, hat ein Problem. Wenn wir unsere Entscheidung für eine andere Person allein auf erwiesenen Fakten abstützen möchten, erkaltet jede lebendige Beziehung.

Ich wies meinen Freund darauf hin, dass wir bei allen Argumenten für einen Glauben an Gott unser Gottesbild nicht vergessen dürfen. Christen glauben an einen Gott, dem so viel an Beziehung gelegen ist, dass er selbst Mensch wurde und alles in die Waagschale warf, um die Beziehung zu uns wiederherzustellen. Der Faktencheck kann helfen, den Weg für eine echte Begegnung freizumachen. Um in Glaubensdingen kein ewiger Single zu bleiben, muss aber der Punkt kommen, an dem wir die Kontaktaufnahme wagen.