Forschung als gottgegebene Aufgabe

Glaube und Wissenschaft stehen nicht in Konkurrenz. In ihrer Ergänzung liegt vielmehr ein unerschöpflicher Reichtum. Es gilt jedoch, verschiedene Fragestellungen nicht zu vermischen – und ganz grundsätzlich dem reduzierenden materialistischen Weltbild eine von der christlichen Hoffnung geprägte Sicht entgegenzuhalten.

Die Diskussion um Glaube und Wissenschaft gehört zum Kerngeschäft der VBG: Kaum ein Hörsaal-Vortrag (z.B. von John Lennox an der ETH Zürich) oder MEHRGRUND-Anlass, an dem nicht eine Frage dazu auftaucht. Der Fokus liegt dabei meist auf der spezifischen Thematik von Schöpfung und Evolution oder auf der Frage, ob und wie Gott in die Welt hineinwirkt. Sehr oft geht es auch um Überlegungen, wie man etwas mit Sicherheit wissen kann. Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Fragestellungen zu benennen und voneinander zu trennen.

Christinnen und Christen bekennen Gott als Schöpfer und Erhalter des Universums. Damit ist seine Rolle zu grundlegend, um durch allfällige neue Entdeckungen in Frage gestellt zu werden. So ist auch die Wissenschaft in keiner Weise eine Bedrohung für den Glauben, sondern vielmehr eine gottgegebene Aufgabe. Im zweiten Kapitel der Bibel erhält der Mensch die Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren und alles Geschaffene zu benennen – also zu untersuchen, zu erforschen, zu kategorisieren.

Darwins Erkenntnis

Auf diesen Zusammenhang verweist auch Charles Darwin, wenn er in der Erstausgabe seines Werkes «Über die Entstehung der Arten» den Philosophen Francis Bacon zitiert: «Keiner soll denken oder behaupten, dass ein Mensch zu weit suchen oder zu gründlich erforschen könne das Buch von Gottes Wort oder das Buch der Werke Gottes; vielmehr soll er in beiden Fertigkeit und ein fortschreitendes Wachstum anstreben.» Diese Haltung ist äusserst hilfreich: Beide «Bücher», die Bibel und die Natur, eröffnen uns auf ihre Weise den Zugang zu der einen, ungeteilten Wirklichkeit. Die Werke Gottes untersucht man naturwissenschaftlich, die Worte Gottes legt man aus.

Wenn sich die Erkenntnisse aus diesem Prozess zu widersprechen scheinen, bedeutet das nicht, dass das eine «Buch» falsch ist und das andere richtig, sondern dass ich etwas übersehen oder falsch verstanden habe. Mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen muss ich allenfalls mein Verständnis eines bestimmten biblischen Textes revidieren. Gleichzeitig kann beispielsweise der Schöpfungsbericht der Bibel – auch wenn er in keiner Weise eine wissenschaftliche Abhandlung ist – Hinweise für die Forschung geben, wenn er von einem klaren Anfang spricht oder von der Tatsache, dass nicht alles Geschaffene gleichzeitig entstand.

Problematisch wird es, wenn man das «Buch der Werke Gottes» zur einzigen Realität stilisiert. Die Wissenschaft kann gewisse Zusammenhänge sehr exakt aufzeigen oder erklären – die Beschaffenheit eines Steins, die DNA eines Menschen. Aber diese Informationen sind unvollständig, wenn es um die Wirklichkeit der untersuchten Dinge geht.

In einem Referat für die VBG fasste es Werner Stahel, emeritierter Professor für Statistik an der ETH Zürich, folgendermassen zusammen: «Glaube und Wissenschaft sind wie die zwei Achsen eines Koordinatensystems. Die Wissenschaft befasst sich mit der Frage nach dem Wie, der Glaube mit der Frage nach der Bedeutung.» Die Neutralität der Wissenschaft ist in ebendieser Trennung verankert. Weil sie die Achse der Bedeutung niemals berührt, kann sie zwar Daten liefern, ist aber blind für deren Einordnung und Gewichtung.

Reduzierte Sichtweise

Eine Sichtweise, die die Dimension der Deutung ausklammert, bleibt also gezwungenermassen defektiv. Trotzdem ist die Forderung nach einer ausschliesslich wissenschaftlich-empirischen Sichtweise sehr verbreitet, gerade im akademischen Umfeld. Prof. em. Dr. Hermann Sautter, langjähriger Vorsitzender der deutschen Schwesternbewegung der VBG, gibt zu Bedenken: «Mit dieser axiomatischen Einengung ist der Wissenschaftsbetrieb blind für seine eigenen Grenzen. Er kann weder den Sinn dessen erklären, was er mit immer subtileren Methoden beschreibt und analysiert, noch kann er dem Einzelnen eine sinnvolle Lebensperspektive vermitteln.»

Was das Leben ausmacht, ist oft gerade nicht das, was objektiv nachprüfbar ist. Welche Erinnerungen weckt der Stein, wenn ich ihn in der Hand halte? Was löst die Begegnung mit einem bestimmten Menschen bei mir aus? So individuell die Antworten auf diese Fragen auch sein mögen – sie sind essenziell in der Herausbildung unserer Lern- und Lebensfähigkeit. Offenbar sind es auch genau diese schwer zu messenden Fähigkeiten – Kreativität, Empathie, Intuition – die in einer zunehmend technologisierten Welt unersetzlich und deshalb immer wichtiger werden.

Wie sehr wir immer noch von der reduzierenden Denkweise der Aufklärung und ihrem Bedürfnis nach einem kontrollierbaren Kosmos geprägt sind, zeigt sich beim Blick über den kulturellen Gartenzaun. Der Missionar Bruce Olson beschreibt in seiner Autobiographie, wie die indigene Volksgruppe der Motilone in Kolumbien mit dem christlichen Glauben und moderner Medizin in Berührung kommt. «Ich dachte, ihr hättet kein Antiserum mehr», sagt Olson zu einem Indio, der sich nach einem Schlangenbiss wieder auf dem Weg der Besserung befindet. «Wir hatten nur noch Antibiotika», kommt die Antwort, «also gaben wir ihm davon und beteten, dass Gott ihn heilt. Und wie du siehst, hat er das getan.» Olson ist perplex, da Antibiotika gegen Schlangengift wirkungslos sind. «Gott hat den Mann geheilt, nicht die Medizin», resümiert er. «Aber sagen das die Motilone nicht über alle Heilungen? Spielt es eine Rolle, welche Methode Gott wählt?»

Gottes Erneuerungswerk

Aus christlicher Sicht gibt es keine Unterscheidung zwischen «Natürlichem» und «Übernatürlichem». Dass Gott in das irdische Geschehen eingreift, ist vielmehr eine Begleiterscheinung der neuen Ära, die mit Jesus angebrochen ist und in seiner Wiederkunft ihre Vollendung findet. Die Zeichen dafür sind schon heute sichtbar: «Blinde se­hen, Lahme gehen … und Armen wird das Evangelium verkündet» (Lukas 7,22). Als Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus sind wir eingeladen, bei Gottes Erneuerungswerk mitzuwirken. Und zwar mit allen Methoden, die uns zur Verfügung stehen. Seien es neue Wirtschaftsmodelle, die Gerechtigkeit schaffen, oder medizinische Forschung, die Heilung bringt – die Wissenschaft bietet viele Möglichkeiten, schon heute einen Beitrag zum «Himmel auf Erden» zu leisten.