Warum blosses Lernen das persönliche Forschen nicht ersetzt.
Als Teenager entdeckte ich in einer Brockenstube in Därstetten die DVD-Serie eines US-Amerikanischen Kreationisten und erwarb sie für 7 Franken. Nach 14 Stunden vor dem Fernseher war ich aufgeklärt.
Im Dschungel von Schöpfungs- und Evolutionslehren
Die These, dass die Erde 6000 Jahre alt ist, Tierpopulationen keine grösseren evolutiven Veränderungen erfahren haben, unsere Stammeltern Adam und Eva heissen und der Tod durch den Sündenfall in die Welt kam, mochte ich. Diese Kurzzeitschöpfungslehre deckte sich zudem wunderbar mit meinem damaligen Bibelverständnis. Um meinen nun erwachten Wissensdurst zu stillen, wünschte ich mir zu Weihnachten, zum Geburtstag (und bei jeder sonstigen Gelegenheit) Bücher zu dieser Thematik. Doch je tiefer ich grub, desto mehr Ungereimtheiten entdeckte ich, und desto mehr stellte das Gelesene mein Weltbild in Frage. Nicht alles liess sich zu einem grossen Ganzen zusammensetzen, und dass andere, ebenfalls glaubwürdige Christ:innen, andere Positionen vertraten, machte die Sache nicht eben leichter: Vertreter der Langzeitschöpfungslehre unterscheiden sich von jenen der Kurzeitschöpfungslehre dadurch, dass sie das Leid bereits vor dem Sündenfall in der Welt verorten und von einem alten Universum ausgehen.
Befürworter der Theistischen Evolution vertreten, dass die Evolutionstheorie und der Glaube an einen Schöpfergott widerspruchsfrei miteinander vereinbar sind. Der Mensch ist durch einen Evolutionsprozess entstanden, den sich Gott ausgedacht hat, und stammt wahrscheinlich nicht von einem einzigen Menschenpaar ab. Das Universum ist alt und das Leid schon seit Beginn in der Welt.
Daneben gibt es noch Vertreter des Intelligent Design (ID), welche sagen, dass sich in der Welt Merkmale erkennen lassen, welche auf das Wirken eines «Designers» zurückzuführen und nicht nur durch natürliche Prozesse zu erklären sind (was mit einer gemeinsamen Abstammung von Mensch und Tier kompatibel sein kann, jedoch nicht sein muss).
Wachsende Fragen am Gymnasium
Mit diesem Vorwissen startete ich damals im Biologieunterricht des Gymnasiums ins Thema Evolution, wobei ich eine erstaunliche Entdeckung machte: Meine säkularen Schulkolleg:innen gaben sich mit den Antworten der Lehrerin zum Thema Evolution unmittelbar zufrieden – auch sie nannten sich jetzt aufgeklärt. Mich indes quälten offenkundige Ungereimtheiten, hatte ich doch das von der Lehrerin empfohlene, 500-seitige Buch zur Evolution minutiös durchgearbeitet und auf mehreren Seiten mit unzähligen Fussnoten und einer langen Bibliografie rezensiert.
Das rasche Einlenken in vorgesetzte Theorien hängt mit einem Phänomen zusammen, dessen Entstehungsgeschichte der Moralpsychologe J. Haidt auf die Zeit zurückführt, als wir noch in Stämmen lebten und unser Leben zu verteidigen hatten. Wenn ein Mensch etwas glauben will, stellt er sich die Frage: «Kann ich es glauben?» Wenn die gleiche Person etwas nicht glauben will, stellt sie sich die Frage: «Muss ich es glauben?» Sobald erste Indizien für oder gegen eine Hypothese entdeckt werden, wird der Indizienprozess abgebrochen und die Person gibt sich damit zufrieden. In christlichen wie auch säkularen Kreisen tummeln sich deshalb unzählige Menschen, welche felsenfest davon überzeugt sind, dass sie im Bereich Evolution/Schöpfung «aufgeklärt» sind, ohne je ein Buch darüber gelesen zu haben.
MEHRGRUND-Tag: Mehr als Wissensvermittlung
Es wäre deshalb verfehlt, den am MEHRGRUND-Tag teilnehmenden Teenagern jeweils einfach eine «richtige Position» zu vermitteln. Viel wichtiger ist es, dass die jungen Menschen ihre eigene Position finden, dass sie lernen, diese zu vertreten und auch Ungereimtheiten einzuräumen – was im Übrigen der Anfang von wissenschaftlichem Denken sein kann. Bildlich gesprochen verfüttern wir am MEHRGRUND-Tag also nicht einfach Fische. Stattdessen bringen wir den Teenagern die Kunst des Fischens bei. Und die beginnt manchmal mit dem Kauf einer 7-fränkigen DVD in einer Brockenstube in Därstetten.