Den tiefsten Überzeugungen auf der Spur

Eine Weltanschauung beschreibt die eigenen Überzeugungen zu den Grundfragen des Lebens. Diese beeinflussen direkt die Gesellschaft und das Leben meiner Mitmenschen – und sollten deshalb öffentlich diskutiert werden!

In seinem Vortrag bei MEHRGRUND 2019 geht Samuel Leder der Frage nach, welche Auswirkungen der persönliche Glaube auf das öffentliche Leben hat.

Was macht ein erfülltes Leben aus? Wie lässt sich erklären, dass die Realität oft so weit davon entfernt ist? Welche Verhaltensformen dürfen wir als Gesellschaft nicht tolerieren? Und wie soll ich umgehen mit Menschen, die in solchen Fragen eine ganz andere Position vertreten als ich? Unsere Antworten auf solche Fragen bringen unsere tiefsten Überzeugungen zutage – unsere «Weltanschauung», kurz auch oft «Weltbild» genannt.

Es ist heute Konsens in weiten Teilen der westlichen Gesellschaften, dass Weltanschauungen grundsätzlich Privatsache sind – obwohl ja mein Weltbild (im Gegensatz zu meiner persönlichen spirituellen Praxis) sehr direkt die Gesellschaft und das Leben meiner Mitmenschen beeinflusst. Möglicherweise ist das grundsätzliche Misstrauen gegenüber explizit geäusserten weltanschaulichen Überzeugungen zurückzuführen auf die berechtigte Kritik postmoderner Denker: Sie haben aufgezeigt, wie gross die Gefahr ist, dass Wahrheitsansprüche zur Unterdrückung Andersdenkender missbraucht werden.

Keine Privatsache

Aber jede Gesellschaft braucht ein zugrundeliegendes Weltbild, welches z.B. begründet, weshalb die Gesetze eines Landes auch für die Regierenden gelten, oder warum Frauen und Männer gleichwertig sind. Deshalb halte ich diese «Privatisierung» des Weltbilddiskurses für eine problematische Entwicklung. Es entsteht dadurch ein Vakuum, in dem sich am Ende der Lauteste mit seiner «Wahrheit» durchsetzt – ein idealer Nährboden für Populisten, wie Trump mit seinen «Alternative Facts» aufgezeigt hat.

Als Ausweg schlage ich vor, Weltbilder vermehrt öffentlich zu diskutieren und anhand von drei Kriterien zu prüfen, mit der Hoffnung, so die guten, gesellschaftsfähigen und im biblischen Sinne «wahren» Weltbilder – also diejenigen, die sich bewähren – von den trügerischen und irreführenden unterscheiden zu können.

Gemeinsam Antworten suchen

Wer gerne dem eigenen Weltbild und dem seiner Mitmenschen auf die Spur kommen möchte, dem empfehle ich, einen Interviewtermin mit den eigenen Freunden, Nachbarn oder Studienkollegen zu vereinbaren und sie z.B. zu folgenden Fragen zu löchern – die Antworten werden ziemlich sicher überraschend ausfallen!

Was ist der Sinn des Lebens?
Was unterscheidet den Menschen vom Tier?
Was ist die tiefste Form der Erfüllung?
Warum gibt es so viel Schlechtes in der Welt? Was wäre die beste Lösung dafür?
Wie unterscheidest du zwischen Gut und Böse?
Was tolerierst du nicht? Warum?
Was ist deine grösste Hoffnung?
Falls es einen Gott gäbe, wie denkt er wohl über dich?
Wer prägt deine Meinung in Weltbild-Fragen?

Das Tolle an einem solchen Interview oder Gespräch ist: Man muss nicht selber alle Antworten haben, denn es bietet einen grossartigen Ausgangspunkt, um den aufgeworfenen Fragen gemeinsam weiter nachzugehen und sich zusammen auf die Suche nach besseren, befriedigenderen, lebensnäheren Antworten zu begeben!

Und wo suchen? Jesus rät seinen Zeitgenossen, nicht bei philosophischen oder theologischen Systemen nach Antworten zu suchen, sondern bei ihm höchstpersönlich.1 Obwohl das ein aussergewöhnlich exklusiver Anspruch ist, kann er gerade nicht zur Ausgrenzung Andersdenkender missbraucht werden – denn wer bei Jesus wirklich «dazu gehört», ist am Ende allein Jesus überlassen. Das Weltbild, das uns Jesus hier vermittelt, ist deshalb einzigartig: Mit einem ganz konkreten Zentrum, aber zugleich offenen Rändern. Offen für alle, die bereit sind, ihren eigenen Stolz hinter sich zu lassen.

Wenn «weltanschauliche Neutralität» gefordert wird:

1. Rückfrage zur Klärung: Wie meinen Sie das?

Was meinen Sie mit «weltanschaulich neutral»? Dass man bestimmte Dinge nicht glauben oder sagen darf? Ich fände es besser, sich darauf zu einigen, dass wir mit Andersdenkenden respektvoll umgehen sollten.

2. Rückfrage zur Klärung: Wie begründen Sie das?

Warum genau sollte ausgerechnet die Uni oder Schule weltanschaulich neutral sein? Was ist denn Ihrer Weltanschauung nach die Aufgabe einer Uni oder Schule?

3. Ängste erfragen und ernst nehmen

Befürchten Sie, dass wir auf Basis unseres Weltbildes jemanden schädigen oder ausgrenzen? Das besorgt uns sehr. Wir haben eigentlich die Hoffnung, dass wir inklusiv sind und dass wir uns selbstkritisch hinterfragen lassen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, machen Sie uns bitte darauf aufmerksam!

4. Missverständnisse und Alternativen aufzeigen

In Weltbild-Fragen sind wir alle absolut, es gibt keine Neutralposition. Aber wir können gerne darüber sprechen, was denn ein gutes Weltbild wäre und welchen Umgang mit Andersdenkenden wir pflegen sollen!

5. Tell the better story: Das eigene Weltbild darlegen

Die ideale Uni/Schule wäre für mich ein Ort, wo wir uns auch mit existenziellen Fragen des Lebens auseinandersetzen können: Wofür sollen wir unsere Lebenszeit einsetzen? Wie sollen wir handeln, wenn nicht rein egoistisch? In unserer VBG-Gruppe denken wir über genau solche Fragen nach und suchen tragfähige Antworten.

Drei Kriterien für Weltbilder

1. Relevant (subjektiv erfüllend)

Einseitige Überzeugung («liberale» Position)

«Jeder muss ein Weltbild finden, das ihm/ihr passt.»

Entgegnung

Weltbilder sind keine Privatsache, denn ein unrealistisches Weltbild hält gefangen, schädigt mich und andere, und ist im Ernstfall nicht tragfähig! Und nur wenige Weltbilder ermöglichen ein respektvolles oder liebevolles Miteinander.

Einseitige Überzeugung («konservative» Position)

«Nur in einem Weltbild liegt das Heil, nämlich in meinem.»

Entgegnung

Jesus sagte: «Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.» (Matthäus 7,1)
Anstatt Grenzen zwischen «Christen» und «Anderen» zu ziehen, sollen wir auf Jesus als das Zentrum verweisen.

2. Vernünftig (objektiv begründet)

Einseitige Überzeugung («liberale» Position)

«Man kann nicht so genau wissen, ob das mit Jesus stimmt.»

Entgegnung

Der Selbstanspruch des christlichen Glaubens ist, dass er historisch überprüfbar und persönlich erfahrbar ist. Forsche nach und prüfe dessen Glaubwürdigkeit!

Einseitige Überzeugung («konservative» Position)

«Zweifel und Fragen sind schädlich für den Glauben.»

Entgegnung

Ein Weltbild, welches keine kritische Nachforschung zulässt, fördert Angst und Misstrauen und droht im Ernstfall zu kollabieren.

3. Inklusiv (nicht ausgrenzend)

Einseitige Überzeugung («liberale» Position)

«Wahrheitsansprüche wirken ausgrenzend.»

Entgegnung

Jesus hat gesagt «Ich bin die Wahrheit […], und niemand kommt zu Gott, dem Vater, ausser durch mich» (Johannes 14,6) – aber er verband diesen exklusiven Anspruch nicht mit Ausgrenzung, sondern mit Aufopferung. Zudem bietet die Vorstellung der menschlichen Gottesebenbildlichkeit die beste Grundlage zur Wertschätzung Andersdenkender.

Einseitige Überzeugung («konservative» Position)

«Christen sollten ihre Interessen in der Gesellschaft stärker durchsetzen.»

Entgegnung

Entgegnung Jesus sagte: «Liebet eure Feinde!» (Matthäus 5,44) und «Ich bin gekommen, um zu dienen und mein Leben hinzugeben» (Markus 10,15). Je grösser die Differenzen in der Sache, desto wichtiger ist es, dass wir bewusst Beziehungen zu Andersdenkenden bauen!