Im Rückzug liegt die Kraft für Neues
Um die Herausforderungen des Alltags zu meistern, sind Auszeiten unabdinglich. Geistlich gesehen liegt ihr Wert darin, von Information über Gott und sich selbst hin zu einer Erkenntnis zu gelangen. Wesentlich zum Gelingen beitragen können ein gut strukturierter äusserer Rahmen oder eine Auszeit unter Anleitung.
«Ich bin raus!» Das ist der Slogan eines Herstellers von Outdoor-Bekleidung und der Titel eines Buches. Raus aus dem Getriebe und dem Getriebensein des Alltags, aus dem Hamsterrad, aus den nicht enden wollenden Verpflichtungen.
«Auszeit» ist ein sehr positiv besetzter Begriff der Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft. Viele Menschen sehnen sich danach. Wer eine mehrwöchige Auszeit antreten kann, wird in der Regel benieden. Thematisch ausgerichtete Auszeit-Angebote sprechen eine ganze Reihe von legitimen Bedürfnissen an, die mit der Sehnsucht nach Ausbrechen aus dem Trott des Alltags zusammenhängen.
Doch nicht immer bringt die Auszeit das erwünschte Resultat. Magnus Malm leitet in Schweden seit mehr als 20 Jahren Einkehrfreizeiten, vor allem für Mitarbeitende im geistlichen Dienst. In seinem neuesten Buch «In Freiheit dienen» lässt er Erkenntnisse aus über tausend Begleitgesprächen einfliessen. Unter anderem schreibt er: «Es ist ein grosses Wunder, wenn sich das Gottesbild eines Menschen verändert. Ein noch grösseres Wunder ist es, wenn sich das Selbstbild eines Menschen verändert.» Dieses Fazit ist ernüchternd. Warum kommt es so selten vor, dass Christen ihr Gottesbild und ihr Selbstbild ändern – trotz verschiedenster Bemühungen, solche Veränderungen anzustreben?
Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis
Johannes Calvin beginnt sein theologisches Hauptwerk, die Institutio Christianae Religionis («Unterweisung in der christlichen Religion»), mit der These, dass die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis untrennbar miteinander verbunden sind. Daraus lässt sich folgern, dass Auszeiten wertvolle Gelegenheiten sind, um sowohl sich selbst, als auch den dreieinigen Gott besser kennenzulernen. Denn es geht hier nicht darum, Informationen und Faktenwissen über Gott und sich selbst zu sammeln, sondern um Erkenntnisse. Erkenntnisse haben im Unterschied zu Informationen das Potenzial, tiefgehende Veränderungen im Leben eines Menschen zu bewirken.
Ich habe gerade eine kleine Auszeit hinter mir, vier Wochen an der Ostsee. Auf eine einwöchige Landephase folgten zwei Wochen ohne Mails, ohne Tageszeitung und ohne Fernsehen. Es war eine Zeit der Ruhe mit viel Bewegung in der küstennahen Natur. Inspiriert durch spirituelle Impulse aus der ignatianischen Tradition gelang es mir, besser auf Stimmen und Neigungen aus tieferen Schichten meiner Seele zu hören und sie mit Gott ins Gespräch zu bringen. Was dabei an die Oberfläche kam, war nicht immer ermutigend oder erbaulich. Aber es war gut! Mit der Zeit sprachen biblische Texte tiefer in die Seele, es kam zu einem sehr persönlichen Dialog. Dimensionen der Gnade Gottes wurden für mich anschaulicher und auf eine individuelle Weise spür- und erfahrbar. Das berührt und verändert, es macht auch angesichts herausfordernder Lebensumstände gelassener. Meine Erfahrungen bestätigen, was Andrea Signer in ihrem Beitrag zu Ruhe und Auszeiten ausführt.
Auszeiten lassen sich durchaus individuell planen und durchführen. Besonders für solche, die wenig Erfahrung in der Gestaltung mehrtägiger Auszeiten haben, empfiehlt sich eine Auszeit unter Anleitung bzw. in einer Gruppe. Um mit tieferen Schichten der eigenen Persönlichkeit in Berührung zu kommen, ist es hilfreich, wenn man sich nicht selbst mit der Planung und Gestaltung der Auszeit beschäftigen muss. Auf die reichhaltige Erfahrung anderer in der konkreten Gestaltung von Auszeiten verzichten zu wollen, wäre fahrlässig. Zu gross ist das Risiko, dass wichtige persönliche Prozesse in der Auszeit nicht gelingen und eine Enttäuschung zurückbleibt.
Auszeiten strukturieren
Wichtig ist, sowohl jedem einzelnen Tag, als auch der gesamten Zeit eine gute Struktur zu geben, damit eine gute innerseelische und geistliche Dynamik entstehen kann. Es geht darum, ein gutes Mass zu finden für Meditation, fokussierte Reflexion und kontemplative Stille, für Reden und Schweigen, Essen und Schlafen, körperliche Entspannung und Bewegung in der Natur. Ziel ist, sensibler zu werden im Hören auf Impulse aus dem eigenen Inneren und von Gottes Geist. Welche Impulse sind wichtig und hilfreich? Welche sind abwegig und sollten nicht verfolgt werden? Wie kann ich einen Gewinn daraus ziehen?
In der ignatianischen Spiritualität wird die Gabe der Geisterunterscheidung betont, um aufkommende Impulse zu bewerten und daraus gute Entscheidungen abzuleiten. Insbesondere wenn Weichenstellungen im eigenen Leben anstehen, ist das wichtig. Nachdem man ungute Regungen aus dem eigenen Inneren identifiziert und sich von ihnen so gut wie möglich distanziert hat, sind zwei Fragen hilfreich:
Mehr zu Wissenschaft und Neutralität
Welche Entscheidungsvariante führt für mich persönlich zu mehr Erfüllung, Befriedigung und – ignatianisch ausgedrückt – zu mehr Trost?
Bei welcher Variante kann ich mehr Frucht bringen, mehr und vielleicht sogar Grösseres für andere Menschen und letztlich für Gottes Königreich bewirken?
Seit vielen Jahren hat die VBG ein reichhaltiges Angebot an Kursen zur geistlichen Praxis und zu verschiedenen Lebensthemen. Dazu gehören auch Auszeiten und Exerzitien (die übrigens nicht nur in Rasa angeboten werden). Unter kompetenter Anleitung werden die Teilnehmenden unterstützt, einen guten inneren Weg zu finden und wertvolle Erkenntnisse über den dreieinigen Gott und über sich selbst zu sammeln. Regelmässige Begleitgespräche helfen, in der Auszeit aufkommende Gedanken, Intuitionen und Emotionen verarbeiten zu können.
Die Stimme des Heiligen Geistes
Wer immer besser lernt, in diesen Impulsen die Stimme der eigenen Seele und die Stimme des Heiligen Geistes zu identifizieren, kann prägende Erfahrungen machen. Gottesbilder und Selbstbilder können sich verändern. Das ist eine gute Voraussetzung, um konkret und dauerhaft etwas im eigenen Leben zu verändern. Das haben bereits viele Menschen in der VBG erlebt und davon nachhaltig profitiert.
Wer in den Herausforderungen des täglichen Lebens nicht nur überleben, sondern darin ein erfülltes Leben finden will, braucht Zeiten des Rückzugs in irgendeiner Form. Das Kurs- und Gesprächsangebot der VBG dient dazu, Menschen zu unterstützen, damit sie mehr Gelassenheit, Sinn und Erfüllung in ihrem alltäglichen Leben finden können. Periodische Stilleangebote, Exerzitien im Alltag und Meditationsgruppen bieten zudem kleine Inseln im Strom des Alltags.
Die zentrale Frage ist also nicht, ob wir uns Auszeiten leisten können, sondern ob wir uns ein Leben ohne Auszeiten leisten können.