Im legendären Sommercamp «Ora et Labora für Studierende» in Rasa thematisieren und üben wir jeweils, wie wir den Glauben mitten im Alltag leben können. Dabei spüren wir der monastischen (klösterlichen) Spiritualität nach. Ein Leitmotiv der Benediktiner lautet: Ut in omnibus glorificetur Deus, abgekürzt UIOGD. Das ist natürlich höchst biblisch, wörtlich finden wir es in 1. Petrus 4,11: «… damit in allem Gott verherrlicht werde.» (Mehr zur Geschichte von UIOGD gibt es in diesem Beitrag.)

Die Studierenden nehmen das jeweils stark auf; so findet man in Rasa an mehreren Stellen UIOGD eingraviert oder einbetoniert – ganz nach dem Vorbild der Benediktiner. Was aber bedeutet es, Gott zu verherrlichen und erst noch in allem?

Man könnte darauf ganz konkret und praktisch antworten, zum Beispiel mit folgenden drei Handlungsanweisungen:

  1. Mitten im Alltag mit Gott im Kontakt sein, Gebet und Arbeit verbinden, zum Beispiel Innehalten beim Stundenschlag der Kirchenglocke, ähnlich wie die Mönche es tun, Voraus- und Nachmeditation der Arbeit, Mitmenschen im Alltag still segnen etc.
  2. Gutes tun, Nächstenliebe üben, aufmerksam sein, aber auch, sich für gerechtere Bedingungen einsetzen, zum Beispiel Fairtrade-Produkte kaufen.
  3. Zum Glauben stehen, von Gott erzählen, ein Zeuge sein. Die Stichworte dazu lauten: Apologetik und Evangelisation.
Gott braucht uns nicht

Nun besteht aber die Gefahr, dass wir das Ganze missverstehen und meinen: Je mehr wir tun, desto mehr wird Gott verherrlicht. Es geht aber um eine grundsätzliche Ausrichtung unseres gesamten Lebens: Thomas Härry schreibt dazu: «Geistlich leben bedeutet, unser ganzes Menschsein vor Gott einzuschliessen und auf Gott zu beziehen, nicht nur einen Teil davon, den wir für geistlicher halten als die anderen.»

Dazu gehören beispielsweise auch unsere körperlichen und emotionalen Bedürfnisse und unser Gefühlsleben. Dazu Härry weiter: «Echter Glaube und biblische Jüngerschaft trennen unser Leben nicht auf in die Bereiche ‹geistlich› (= sehr bedeutsam für Christen) und ‹seelisch› (= unwichtig und hinderlich für uns Christen). Gesunder Glaube integriert alle Bestandteile unseres Lebens in unsere Beziehung mit Gott.»

Auch unsere Beziehungen, unser Geld, die ganz gewöhnlichen Arbeiten des Alltags, unser (akademisches) Fachgebiet bzw. Studienfach, unsere intellektuellen Fähigkeiten – alle Bestandteile unseres Lebens sollen auf Gott ausgerichtet und von ihm geprägt sein.

Oft müssen wir feststellen und uns eingestehen, dass unser Leben nicht so ganz im «UIOGD-Modus» funktioniert, dass wir anstelle von Gott uns selbst oder Anderes «ver-HERR-lichen» und dass nicht alle unsere Lebensbereiche in unsere Gottesbeziehung integriert sind. Warum?

Viele würden darauf vielleicht antworten, wir müssten uns halt mehr Mühe geben, mehr beten, mehr arbeiten oder was auch immer. Das Problem liegt jedoch tiefer: Die meisten von uns neigen wohl zu einer von zwei falschen Grundhaltungen, welche beide nicht dem Wesen des Evangeliums bzw. des Christentums entsprechen. Man könnte auch sagen, zu zwei grundlegenden Holzwegen, welche tendenziell von Gott wegführen und ein «UIOGD-Leben», ein glückliches Leben, welches Gott verherrlicht, verhindern. Jesus führt uns diese beiden Holzwege im Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen vor Augen (Lukas 15,11-32).

Holzweg eins: Das eigene Ego

Der jüngere Sohne steht für Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, «ich lebe, wie es mir passt und für mich stimmt» etc. – eine weit verbreitete Tendenz in unserer Gesellschaft. Papst Benedikt XVI. beschreibt diese treffend: «Wir gehen auf eine Diktatur des Relativismus zu, die nichts als sicher anerkennt und als ihr höchstes Ziel das eigene Ego und die eigenen Wünsche hat.» Dass dies ein Holzweg ist, wird aus dem Gleichnis klar: Der jüngere Sohn landet buchstäblich im Schweinedreck, weit entfernt von der Heimat.

Einige von uns haben hier vielleicht eine Schlagseite, und es zieht uns tendenziell auf diesen Weg. Aber viele – und vermutlich die Mehrheit der gläubigen Christen – haben eine ganz andere Schlagseite: Sie stehen in der Gefahr des Pharisäertums. Das erwähnte Gleichnis richtete sich nämlich an die Pharisäer, welche Jesus vorwarfen, sich mit unreinen und moralisch verwerflichen Leuten abzugeben.1 Ihnen wollte er mit dem älteren Sohn einen Spiegel vorhalten.

Holzweg zwei: Moralismus

Er steht für den Weg der religiösen Gesetzlichkeit, für Moralismus und eine falsche Auffassung von Selbstverleugnung, Unterordnung, Tradition und Disziplin. Für viele moderne Menschen ist Religion gleichbedeutend damit: Das Christentum ist für sie nur eine Religion unter anderen. Sie wollen damit nichts zu tun haben. Jesus zeigt uns im Gleichnis den Unterschied: Auch der ältere Sohn ist auf einem Holzweg. Auch er ist ein «verlorener Sohn».

Seine Haltung könnte man so umschreiben: «Ich lebe ein gutes und rechtschaffenes Leben und habe deshalb verdient, dass es mir gut geht, dass Gott mich segnet und belohnt – im Diesseits und im Jenseits.» Es geht ihm nicht wirklich um seinen Vater und um die Beziehung zu ihm, sondern um dessen Besitz. Der ältere Sohn wird furchtbar zornig über die Gnade des Vaters gegenüber dem jüngeren Sohn und weigert sich, am Festmahl teilzunehmen. Der Vater bittet ihn inbrünstig darum. Jesus lässt offen, ob sich der ältere Sohn dazu bewegen liess, ans Festmahl zu kommen.

Der Weg des älteren Sohnes, die religiöse Gesetzlichkeit, führt entweder zur Selbstabwertung, weil man dem Anspruch nie ganz genügt – oder aber zum Gefühl moralischer Überlegenheit, zu Stolz und Selbstgerechtigkeit. Das Evangelium möchte uns aber dazu befreien, weder zu gering noch zu hoch über uns zu denken, sondern überhaupt nicht so viel an uns selbst zu denken!

Timothy Keller schreibt dazu: «Das christliche Evangelium sagt, dass ich ein so hoffnungsloser Fall bin, dass Jesus für mich sterben musste – und dass ich so wertvoll und geliebt bin, dass Jesus für mich sterben wollte. Wer dies erkannt hat, der wird beides: zutiefst demütig und zutiefst zuversichtlich. Er wird sich weder bejubeln noch bejammern. Ich kann mich dann nicht mehr über andere erheben, brauche mich aber auch nicht vor ihnen zu beweisen. Ich denke dann weder zu hoch von mir selbst noch zu niedrig, ich denke überhaupt nicht mehr so viel an mich.»

Evangelium statt Religion

Ein solches Leben wäre ein komplett anderer, ein neuer Weg: Nicht der Weg des älteren und auch nicht der Weg des jüngeren Sohnes. Denn beide denken nur an sich selbst. Ich kann glücklich leben, obwohl es nicht um mich geht – weil es nicht um mich geht. Ich tue dann Dinge aus Freude an den Dingen und Tätigkeiten – nicht, um mir oder Anderen oder Gott etwas zu beweisen. Und ich interessiere mich echt für meine Mitmenschen, vergesse mich sozusagen selbst und merke, dass ich dabei nicht zu kurz komme. Ich lebe so, dass nicht ich, sondern Gott verherrlicht wird. Und darin finde ich wahre Identität und maximale Freiheit.

Ich lebe dann nicht, wie es mir gerade passt, oder tue nur, was für mich stimmt (der Weg des jüngeren Sohnes), sondern versuche, Gott zu gehorchen, aber aus einer völlig anderen Grundhaltung heraus als derjenigen der religiösen Gesetzlichkeit (des älteren Sohnes). Ich lebe nach dem Prinzip des Evangeliums, nicht nach dem Prinzip der Religion: «Religion funktioniert nach dem Prinzip: ‘Ich gehorche, und darum nimmt Gott mich an’. Das Prinzip des Evangeliums lautet: ‘Gott nimmt mich an, weil Christus alles für mich getan hat, und darum gehorche ich’.» (Timothy Keller)

Nur aus dieser Grundhaltung heraus sollen wir buchstabieren und einüben, was «Ora et Labora» und «UIOGD» praktisch und konkret in unserem Alltag bedeuten. Die VBG als Bewegung und Rasa als Ort haben die Aufgabe und das Potenzial, Menschen auf diesem Weg zu fördern. Sie wollen sie jenseits von religiöser Gesetzlichkeit oder Selbstverwirklichung in eine Herzensbeziehung mit Gott führen, welche alle Lebensbereiche einschliesst und durchdringt – «auf dass in allem Gott verherrlicht werde».

Dieser Beitrag von Christoph Egeler basiert auf seinem Impuls im Rahmen des  50-Jahre-Jubiläums des Campo Rasa.

www.camporasa.ch