Von Sorgen, Ängsten und Vertrauensschritten

 

Mir scheint, für manche Christen stellt es eine Art geistliche Disziplin dar, sich nicht zu sorgen. Sorgen gelten als Misstrauensvotum Gott gegenüber und somit als Glaubensschwäche. Das ist nicht verwunderlich. Schliesslich warnt nicht nur Jesus vor dem Sog der Alltagssorgen, sondern auch die Apostel rufen explizit dazu auf, Sorgen loszuwerden.

Ich möchte Sorgen keineswegs beschönigen oder gar propagieren. Dennoch möchte ich eine Lanze brechen für dieses allzu menschliche Phänomen. Sorge ist per Definition ein «ängstliches und schmerzliches Vorausdenken ohne die Gewissheit, mit den tatsächlichen oder erwarteten Schwierigkeiten fertig zu werden.» (Calwer Bibel­lexikon) Diese Definition beschreibt in­direkt auch unsere Lebensrealität. Möglicherweise geht es deshalb weniger darum, angst- und sorgenfrei durchs Leben zu gehen, als darum, uns einen gesunden Umgang mit diesen Empfindungen anzueignen. Die folgenden Anstösse sollen zu diesem Lernprozess einladen:

Sorgen akzeptieren

Sich sorgen setzt einen wachen Geist voraus; es erfordert Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit, Dinge zu antizipieren. Somit ist die Fähigkeit, Sorgen zu empfinden, ein Zeichen von Intelligenz und Gesundheit. Sorgen können das Überleben sichern: Als Alarmsignal vermögen sie uns wachzurütteln, uns Orientierung zu bieten und uns in Gefahren zum Handeln zu motivieren. Oft sind Sorgen Ausdruck der Liebe und Verbundenheit: Sie tauchen überall dort auf, wo wir uns auf ernsthafte Beziehungen einlassen. Nächstenliebe ohne (Für)Sorge ist nicht denkbar. Letztlich gehört eine Prise Sorge zu jedem Entwicklungsschritt: Wer noch nicht weiss, ob er einer Situation gewachsen sein wird, empfindet intuitiv Unsicherheit. Hier zeugen Sorgen vom Mut, sich auf unbekanntes Terrain vorzuwagen. Sorgen sind somit ein normales und berechtigtes Phänomen unseres Menschseins.

Sorgen zähmen

Sorgen sind oft diffus. Solange sie Geistern gleich im Dunkeln ihr Unwesen treiben, haben sie Macht über uns. Es ist deshalb wichtig, Sorgen zu zähmen, indem wir sie ans Licht holen, analysieren und differenzieren. Dazu gehört auch, unnötige oder sinnlose Sorgen zu entlarven und diese nicht länger zu nähren. Wenn es darum geht, im Hier und Jetzt (statt in der oft einschüchternden Zukunft) zu leben, kann die Einteilung des Lebens in bewältigbare Tages­einheiten eine Hilfe sein (das findet auch Jesus in Matthäus 6, 34). Und: Mit ein wenig Übung lassen sich Sorgen zeitlich und örtlich begrenzen. So können wir uns eine Sorgeneinheit pro Tag verordnen und dazu immer denselben Sorgen-Stuhl benutzen. Schliesslich kann es sich lohnen, Sorgen ruhen zu lassen und einfach mal abzuwarten. Dieser Realitäts-Check ermöglicht uns die wertvolle – weil korrektive – Erfahrung, dass sich viele Befürchtungen gar nicht bewahrheiten.

Sorgen verlernen

Neurobiologisch ist es nicht möglich, bestehende Netzwerke im Gehirn einfach zu löschen. Aufgrund von Neuroplastizität kann unser Gehirn aber dazulernen, wenn wir ihm alternative Denkprozesse bieten: Zum Beispiel, indem wir uns in Offenheit und Neugier üben – also positive Entwicklungen in Erwägung ziehen und bewusst Gutes erwarten. Oder indem wir Dankbarkeit zu einer Lebenshaltung machen. Oder Frieden schliessen mit dem Unausweichlichen. So lassen sich Sorgen ein Stück weit verlernen.

Sorgen anvertrauen

Gott verspricht uns kein sorgenfreies Leben. Aber er begegnet unseren Ängsten mit seinen Verheissungen: Er ist «Immanuel», Gott mit uns, ein Mitgeh-Gott, der nicht von unserer Seite weicht. Oder in den Worten Jesu in Johannes 16, 33: «In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.» Wir dürfen zu unseren Sorgen stehen und uns zugleich immer wieder neu mit unseren Empfindungen Gottes Fürsorge anvertrauen.