Eine kleine Weihnachtsgeschichte
Die Tür knallt, schnelle Schritte poltern die Treppe hinunter. «Nein, ich freue mich nicht darüber!» Atemlos erreicht Luna den Hauseingang und hört ihre Mutter gerade noch, wie sie die Zimmertür wieder öffnet und zu sprechen beginnt. Der Rest geht in Lunas wütendem Abgang unter. Es ist jedes Jahr dasselbe. Die Zeit vor Weihnachten – von wegen schön und besinnlich! Hektisch und stressig, das trifft es wohl eher. Nun ist Luna sogar so weit, einfach aus dem Haus zu stürmen. Frohe Weihnachten.
Kurz zuvor war Lunas Mutter zu ihr ins Zimmer gekommen, wollte über Geschenkideen für alle möglichen Freunde, Verwandte, Bekannte reden, Tante Paula hier, Kusine Lena dort. Wofür? Was soll diese Schenkerei? Luna hatte zuerst ruhig diese ganze sinnlose Diskussion ertragen, doch dann brach es aus ihr heraus: «Wieso beschenkt man die halbe Welt, weil angeblich Jesus von Nazareth an diesem Tag auf die Welt gekommen ist? Steckt da nicht eigentlich der Kapitalismus und Konsumzwang der modernen Gesellschaft dahinter? Wie passt das denn zur Kirche?»
Lunas Mutter verstand nichts. «Es ist doch etwas Gutes, sich gegenseitig zu beschenken, oder nicht? Man freut sich doch darüber!» Luna wollte davon nichts mehr hören. Und nun steht sie hier.
Wo soll sie jetzt hin? Es ist zu kalt, um draussen zu bleiben – ohne Jacke. Luna bereut ihren Abgang bereits. Gleich zurück nach Hause will sie aber auch nicht. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und trottet unschlüssig der Strasse entlang. Bald kommt sie am Café Schöner Schwan vorbei. Besser als nichts. Sie öffnet die Tür, Glöckchen klingeln, und läuft in eine Wand aus Wärme und dem Duft frischgebackener Cookies. Luna spürt, wie sich ihre Schultern entspannen und schaut sich um. Da sieht sie eine vertraute Gestalt. Die Pfarrerin! Ausgerechnet Frau Rose sitzt am Tisch hinten in der Ecke. Luna dreht sich in die andere Richtung. Sie ist nicht in Plauderstimmung. Doch: «Luna!»
Die Stimme der Pfarrerin dröhnt durch den Raum. Luna dreht sich wieder um.
«Hallo Frau Rose.»
«Du siehst aus, als hättest du gefroren!»
Die Pfarrerin hat die Angewohnheit, überwiegend in Ausrufesätzen zu sprechen, was einen durchaus etwas irritieren kann.
«Ich habe meine Jacke zuhause vergessen», antwortet Luna, «die wollte ich gerade holen gehen.»
Frau Rose macht ein belustigtes Geräusch und ruft: «Unsinn! Hier drinnen ist es ja warm!»
Sie zieht den Stuhl neben ihr unter dem Tisch hervor. «Willst du dich nicht setzen!»
Luna seufzt innerlich und setzt sich ergeben auf den Stuhl.
«Nun sag, was geht dir durch den Kopf!», poltert die Pfarrerin. Schwer zu glauben, dass sie schafft, sogar eine solch harmlose Frage irgendwie bedrohlich wirken zu lassen. Eine seltsame Frau. Luna denkt nach und beschliesst dann, ehrlich zu antworten.
«Weihnachten stresst. Das heisst, meine Mutter stresst. Jeden Dezember ist es dasselbe – Geschenke hier, Karten dort, Einkäufe jeden Tag. Und wieso? Konsum! Geldgeschäfte! Aufregung! Es hat nichts mit dem Glauben zu tun und macht wirklich keinen Sinn.»
Frau Rose schaut Luna gerade ins Gesicht, sie sieht aus, als ob es dort ein spannendes Kreuzworträtsel zu lösen gäbe.
«So! Was wäre dann deiner Meinung nach sinnvoll?»
Was für eine Frage! Luna schaut aus dem Fenster. Unzusammenhängend ziehen die Gedanken in ihrem Kopf umher. Sie sieht einen alten Mann vorbeigehen, den Kopf eingezogen. Zwei Spatzen hüpfen über die Strasse. Jemand schiebt einen Kinderwagen vor sich her.
Da hat sie plötzlich eine Idee.