Leidenschaftliche Freude

Unser Umfeld ist der Ort unserer Berufung. Christinnen und Christen den Auftrag haben, die Kultur, in der sie leben, aus der Hoffnung des Evangeliums heraus zu verändern. Dazu gehört auch ein Gespür für das richtige Mass an Angleichung und Abgrenzung.

Ich tue mich schwer mit «Evangelisation». Nicht mit der Idee, Gottes gute Botschaft in die Welt zu tragen. Aber mit dem Begriff, der für mich mit negativen Bildern verbunden ist, mit Übergriffen und Bevormundung. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass das Evangelium für jeden einzelnen Menschen und für die Gesellschaft als Ganzes höchst relevant ist. Wie können wir diese Gegensätze zusammenbringen? Wie können wir nach den fehlgeleiteten Bemühungen der Vergangenheit «Evangelisation» wieder im positiven Sinne verstehen und praktizieren?

Die westliche Kultur war über Jahrhunderte vom christlichen Glauben geprägt. Das Christentum bildete nach Miroslav Volf die «Plausibilitätsstruktur» der Gesellschaft – die allgemein anerkannte, intuitiv «wahre» Grundlage, auf der alle Betrachtung und Deutung der Welt geschah. Dieses allgemeingültige Weltbild existiert heute nicht mehr. Im Zeitalter der fragmentierten Gesellschaften brechen jegliche Plausibilitätsstrukturen zusammen.

Fehlende Plausibilitätsstruktur

Dieses Bild bestätigt eine aktuelle Studie der Uni Fribourg, welche die politischen Vorstösse im Zusammenhang mit Religion untersucht, die auf kantonaler Ebene stattfinden. Eine Erkenntnis daraus ist, dass der «säkulare Wind», der den Kirchen entgegenweht, stärker wird. Wir als VBG spüren dies an gewissen Schulen und Hochschulen, wo es schwieriger wird, Räume für unsere Gruppentreffen oder öffentliche Vorträge zu bekommen.

Die Denkweise der Menschen verändert sich ebenfalls. Die heutigen Schülerinnen, Schüler und Studierenden sind stark geprägt von der post- oder spätmodernen Mentalität. Während die Moderne mit kritischer Rationalität und dem Streben nach Fortschritt assoziiert wird, stehen in der Postmoderne Relativität und Selbstverwirklichung im Vordergrund. Die Ästhetik ersetzt die Funktionalität. Eine Folge davon ist die Pluralisierung der Wahrheiten, deren Ergebnis sich zunehmend in der Politik, in der Wissenschaft und auch in den Glaubensgemeinschaften selber zeigt.

Trotz dieser Entwicklungen haben sich die Bedürfnisse der Menschen nicht grundsätzlich geändert. Für postmodern geprägte Menschen sind spirituelle und existenzielle Fragen mindestens gleich relevant wie für prämodern und modern geprägte. Deutlich festzustellen ist jedoch, dass der Glaube weniger stark an Institutionen gebunden ist und stärker auf das ästhetische und emotionale Erlebnis fokussiert. Dass sich etwas «gut anfühlt» und «authentisch» ist – das ist der neue Massstab, der oft wichtiger ist als rationale, stichhaltige Argumente.

Botschaft der Hoffnung

Die Weltkonferenz der IFES, der weltweiten Dachorganisation christlicher Studierendenbewegungen, hatte 2019 den Titel «Botschafter der Hoffnung». Zusammen mit Christoph Egeler durfte ich bei dieser Konferenz die VBG vertreten. Für mich war eine zentrale Erkenntnis dieser Tage, dass es entscheidend ist, die grosse und grossartige Geschichte Gottes mit den Menschen zu kennen und sich selber darin verorten zu können. Sehr anschaulich zeigt sich dies am Beispiel der Emmausjünger: Jesus selbst macht sich auf den Weg mit den beiden Jüngern, welche traurig und orientierungslos unterwegs sind. Statt sich direkt zu offenbaren, geht er mit ihnen die Geschichte «von Mose und allen Propheten» durch (Lukas 24,27), bis sie ihn schliesslich selber erkennen. Das verdeutlicht für mich, wie hilfreich ein Verständnis der grossen Geschichte ist – und dass es Zeit braucht, sich darauf einzulassen. Auch wir sind eingeladen, uns wie Christus mit unseren Mitmenschen auf den Weg zu machen. Wie die ganze Geschichte Gottes mit der Welt eine Geschichte der Selbsthingabe ist, soll die Selbsthingabe auch das Prinzip für unsere Evangelisation sein.

«Ständige Differenz»

Wie aber bringen wir diese frohe Botschaft in den postmodernen Kontext? In seinem Buch «Öffentlich Glauben in einer pluralistischen Gesellschaft» beschreibt der Theologe Miroslav Volf verschiedene Wege, wie der christliche Glaube im gesellschaftlichen Umfeld gelebt werden kann. Die Anpassung, also das Angleichen der christlichen Botschaft an die bestehende Kultur, lehnt er ebenso ab wie den Rückzug aus der Welt. Stattdessen schlägt Volf einen Weg der «internen Differenz» vor. Dieser Ansatz basiert auf der Auffassung, dass unser Umfeld der Ort unserer Berufung ist – und dass wir als Christinnen und Christen den Auftrag haben, innerhalb unserer Kultur zu bleiben und diese von innen heraus zu verändern. Es bedeutet, dass wir uns mit unserer Umwelt, mit den Themen «unserer Leute» auseinandersetzen müssen. Dazu gehört auch, nach dem rechten Mass von Angleichung oder Ablehnung zu suchen, wie Volf betont: «Als Christ zu leben bedeutet, in eine vorhandene Kultur ständig eine Differenz hineinzutragen, ohne diese Kultur deswegen je zu verlassen.»

In der Umsetzung heisst das, dass wir uns mit den Themen und Fragen unserer Zeit befassen und die Nöte und Herausforderungen unser Generation kennen. Gleichzeitig bauen wir unsere Argumentation auf der biblischen Grundlage auf. Das Evangelium ist auch heute noch aktuell und muss nicht angepasst werden. Stattdessen geht es darum, den richtigen Weg zu finden, wie wir die nach wie vor gute Botschaft kommunizieren können. Es gilt die Anknüpfungsgeschichte zu suchen und zu finden. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit sehe ich ein grosses Potential im Verorten der eigenen in einer grösseren (Evangeliums-)Geschichte, die vor dem eigenen Leben anfängt und darüber hinausgeht. Als aktuelles Element unserer Kultur sehe ich zum Beispiel das Thema Ökologie und Nachhaltigkeit, welches wir übernehmen und mit dem Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung und der Hoffnung auf Gottes Erneuerung der Welt verknüpfen können.

Ich hoffe und wünsche mir, dass uns dies als VBG weiterhin und immer wieder neu gelingt; dass wir in Schülergruppen, an der Hochschule und im Berufsalltag diese interne «Differenz» täglich leben können. Und dass wir unsere eigene Lebensgeschichten im Narrativ der Geschichte Gottes mit der Welt verorten können und so die Verbindung zwischen unseren Kontexten und dem Evangelium als Botschaft der Hoffnung herstellen können.