Anhalten, Abschalten, Aushalten – ein Selbstexperiment

Das wollte ich schon immer mal machen. Im Frühling zog ich mich für drei Tage in eine kleine Berghütte im Kandertal zurück. 48 Stunden komplette Inputlosigkeit. Weder ein technisches Gerät noch irgendein Schriftstück hatte ich dabei – ausser der Bibel.
Meine Vorfreude mischte sich mit leichtem Unbehagen darüber, wie ich auf die Stille und Abgeschiedenheit reagieren würde. Ein paar Auszüge aus meinem Hüttentagebuch:

 

1. Tag, Nachmittag
Die Hütte gefällt mir sehr. In der Küche steht ein Holz-Herd und im Stübli ein kleiner Ofen. Beide heize ich bei meiner Ankunft gleich gehörig ein, da ich während des Aufstiegs in einen winterlichen Wetterumschwung geraten bin. Nachdem mir der garstige Wind einige Male die Hütte voll Rauch geblasen hat, knistert das Feuer nun froh vor sich hin. Die Freude über ein brennendes
Feuer in einer 7 °C warmen Hütte muss nicht weiter beschrieben werden.
Nach meiner ersten Mahlzeit setze ich mich hin, schreibe allerlei Dinge auf, die mir in den Sinn kommen (und das sind sehr viele hier), bete einen Rosenkranz, hacke einen Vorrat an Kleinholz, teile meine Essensvorräte ein, schmökere in der Bibel und koche mir Kaffee. Trotzdem kommt mir der Nachmittag ewig vor.

 

1. Tag, Abend
Der Duft der Petroleumlampe versetzt mich zurück in mein Kinderzimmer, wo ich manchmal im Schein eines kleinen Öllämpchens Tagebuch geschrieben habe. Unglaublich, wie ich das Essen plötzlich viel mehr geniesse. Jeder Schluck Tee, die letzten Krümel zusammenklauben, das Teller­ausschlecken, alles geschieht so bewusst. Ob es daran liegt, dass ich nicht abgelenkt bin, oder eher, weil nichts ‘ansteht’, ist schwierig zu sagen.
Seit ich hier bin, steigt meine Freude am Beten rasant an. Vielleicht, weil es die unangenehme Stille durchbricht. Ich ertappe mich oft beim halblauten Kommentieren – kleine Selbstgespräche. Mittlerweile misst das Thermometer 19 °C – meine beiden Öfen leisten gute Arbeit. Nach einem gesungenen Abendlob lege ich mich schlafen.

 

2. Tag, Vormittag
Als ich aufwache, erwartet mich eine narniagleiche Landschaft unter stahlblauem Himmel. Nach dem Frühstück trete ich einen Morgen­spaziergang an. Mit einer gestopften Pfeife im Sack stapfe ich durch den glitzernden Neuschnee. Er ist gerade so hoch, dass er mir nicht die Wanderschuhe füllt. Freiwillig spazieren gehen – ein ungewohntes Gefühl. Bei meiner Rückkehr schmelzen die Eiszapfen bereits um die Wette. Ich setze mich auf der Veranda in die Sonne und geniesse die Wärme. Das Vogelgezwitscher wird ab und an von einem «Rumms» der Dachlawinen unterbrochen. Ich versuche, mir den Stand der Sonne zu merken, um deren Zenit zu bestimmen. Auf keinen Fall möchte ich zu früh Zmittag essen – sonst dauert der Nachmittag wieder ewig.

 

3. Tag, Nachmittag
Jetzt sitze ich schon wieder in der S-Bahn Richtung Bern. Um 14:20 bin ich zu Fuss am Bahnhof Reichenbach angekommen – hier hatte ich vor zwei Tagen zum letzten Mal auf die Uhr geschaut. Ich fühle mich entschleunigt und meine
Gedanken sind so klar und geordnet wie lange nicht mehr. Trotzdem glaube ich, dass die Zeit in der Abgeschiedenheit wohl zu kurz war, um in tiefere Schichten vorzudringen. Ich werde mit Sicherheit bald wiederkommen – mit ebenso wenig Medien im Gepäck, dafür mit umso mehr Vorfreude.

Neben persönlichen Vorsätzen habe ich einige Erkenntnisse festgehalten:

 

1. Wer im Moment lebt, kann wirklich geniessen.

2. Ist das Handy keine Option, fällt der Verzicht ganz leicht.

3. Ohne Handy Zugfahren fördert ganz ungewohnte Kompetenzen.

4. Der Abstand zum Alltag macht einem neu bewusst, was Gott einem alles geschenkt hat.