Kurze Gedanken zur Theodizeefrage

Seit Leibniz (1646 - 1716) nennt man die Frage, wie man angesichts all des Leids an einen liebenden Gott glauben kann, «Theodizeefrage». Schon Epikur (341 - 270 v.Chr.) formulierte das klassische Dilemma: Entweder will Gott das Übel in der Welt aufheben, aber er kann nicht; oder er kann, will aber nicht; oder er will nicht und kann auch nicht. Alle drei Vorschläge sind nicht denkbar, ohne den Gottesbegriff aufzugeben. Die vierte Möglichkeit ist, dass Gott das Leid aufheben will und auch kann. Diese scheitert aber an der Offensichtlichkeit des Leids in der Welt.
Im Verlauf der Theologiegeschichte wurden verschiedene Antworten angeboten, die aber alle als Ganzes nicht befriedigen können. Da gibt es das Konzept: ‘Leiden ist Strafe.’ Doch schon bei Hiob und dann in den Reden Jesu wird dieser strikte Tun-Ergehen-Zusammenhang aufgebrochen. Klar, auch wir gehen davon aus, dass unser Tun Folgen zeitigt. Aber spätestens am Leiden schuldloser Kinder scheitert dieses Konzept als Erklärung für das gesamte Leid.1 Das gilt auch für die Vorstellung von: ‘Leid als Erziehungsmittel Gottes.’ Zwar liegt auch hier wieder eine Teilwahrheit verborgen. Ohne Leid hätte z.B. eine der edelsten menschlichen Tugenden, nämlich das Mitleiden, nur schwerlich wachsen können.

Schliesslich vermag auch das erklärungsmächtigste Konzept: ‘Leid ist eine Folge der von Gott gewährten Freiheit’ nie das grenzenlose Leiden in der Welt zu erklären. Zwar ist es doch so, dass wer die Freiheit leugnet – so klein sie im Konkreten auch sein mag –, auch die Liebe leugnet. Denn Liebe kann nur unter dem Vorzeichen der Freiheit gedeihen. Und weil der Gott der Liebe die Liebe sucht, hat er sogar den Missbrauch dieser Freiheit zugelassen. Die Kehrseite dieser gewährten Freiheit ist nun aber ein Universum, das nach bestimmten Regeln funktionieren muss. Denn wenn sich das Messer in der Hand eines Mörders oder Chirurgen nicht immer gleich verhalten würde (eben als Messer mit all seinen Eigenschaften), könnten weder der Mörder noch der Chirurg das tun, was er eigentlich möchte – wir Menschen könnten daher gar nicht bedeutungsvoll handeln, und das Wort Freiheit würde jeglichen Sinn verlieren. Ein so strukturiertes Universum kann jedoch auch Leiden verursachen, denn alles hat bestimmte, feste Eigenschaften, die sich auch dann nicht ändern, wenn sie zu Überschwemmungen, Erdbeben und anderen Naturereignissen führen.
Wie auch immer: Schon der Versuch, Gott und sein Handeln vor dem Gericht des menschlichen Intellekts beurteilen zu wollen, muss an der «Froschperspektive» der Menschen scheitern. Auch die Suche nach dem einen Erklärungskonzept ergibt keine tragfähige Antwort. Dieser Umstand wird denn auch von der atheistischen Seite als «Fels des Atheismus»2 bezeichnet. Er ist und bleibt meines Erachtens auch der einzige gewichtige Einwand gegen den Gottglauben.

Da uns unser eigenes Denken letztlich keinen Halt gewähren kann, stellt sich im Leiden die Frage, wo man über diesem Abgrund Halt findet. Darauf antwortet Jes 7, 9b. Luther übersetzte: «Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht», und die «Hoffnung für alle»: «Wenn euch der Glaube an mich nicht hält, dann hält euch gar nichts mehr!» Man könnte auch übersetzen: «Wenn ihr euch nicht (an Jahwe) festhaltet, dann werdet ihr keinen Halt haben.» Hier wird uns ein Haltegriff angeboten. Der Glaube wäre somit ein Festhalten an Gott, durch das der Mensch festen Halt für sein Leben und auch in seinen Leiden gewinnen kann. Doch wie wächst dieser Glaube? In der täglichen Beziehungspflege mit Gott.