Ein fröhliches Gottesdienstexperiment

 

«Guten Abend, schön, dass Sie da sind! Wie üblich beginnt der Evensong mit einer kurzen Chorprobe. Der Evensong – das ist ein öffentlicher Gottesdienst, der von Theologiestudierenden als Übung gestaltet und geleitet wird.» Ungefähr so klingt die Begrüssung, wenn man an einem Mittwochabend um 18.00 Uhr im Fraumünster Platz genommen hat. In der Chorprobe werden Informationen zum Gottesdienst mitgeteilt und einige Lieder geübt. Nach der Probe wird in den eigentlichen Gottesdienst übergeleitet: «Bevor wir gemeinsam in den Gottesdienst starten, nehmen wir uns einen Moment der Stille.»

Die Evensong-Übung

Wer an der Universität Zürich einen Master in Theologie abschliessen möchte, besucht mindestens ein Semester lang die Evensong-Übung. Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie, leitet diesen Gottesdienst zusammen mit einem vierköpfigen Team. Das Team ist für die Zusammenstellung der Liturgie sowie die musikalische Begleitung der Gottesdienste zuständig. Jede Woche trifft sich das Team mit den teilnehmenden Studierenden, welche den kommenden Gottesdienst leiten. Dabei wird der Inhalt der Predigt besprochen und in kreativem Austausch überlegt, wie der ganze Gottesdienst liturgisch und musikalisch gestaltet werden soll. Nach dem Gottesdienst wird das Erlebte mit den Übungsteilnehmenden und Menschen aus der Evensonggemeinde besprochen.

Mitten in der Woche entsteht so ein Raum der ruhevollen Ausrichtung auf Gott. Eine ad hoc Gemeinde versammelt sich zur Verkündigung des Evangeliums, bringt Lob und Dank für Gottes Gnade und hält Fürbitte für die Welt und ihre Menschen. Im Schnitt kommen 30 bis 40 Menschen zusammen: Studierende – nicht nur aus der Theologie –, Freunde und Bekannte, Dozenten und Professorinnen, Angehörige, ab und zu Touristen. Jung und Alt feiert gemeinsam Gottesdienst. Der Evensong ist ein Erfolg. Wieso funktioniert das?

Ein lebendiges Sammelsurium

Eine grosse Stärke des Evensongs liegt darin ein funktionierendes Sammelsurium zu sein. Die Grundstruktur des Gottesdienstes stammt aus der reformierten Liturgie. Dazu kommen Elemente aus katholischer und lutherischer Liturgie im Abendmahl sowie Elemente aus freikirchlichen Gottesdiensten im Anbetungsteil und dem Fürbittegebet. Die Musik ist ein fröhliches Zusammenspiel von kirchlichen Gesängen über die Jahrhunderte und Traditionen hinweg. Gregorianik trifft auf Worship und Taizégesang. Ralph Kunz fasst zusammen: «Im Evensong üben wir grosszügige Orthopraxis.» Es wird ausgelotet, welche unterschiedlichen Akzente man in einem Gottesdienst unterbringen kann. Dabei werden effektiv die verschiedensten Menschen angesprochen.

Neben der Vielfalt prägt noch etwas anderes die Lebendigkeit dieses Gottesdienstes. Die Evensong-Übung pflegt ein feines Gespür für das gottesdienstliche Feiern. In den Sitzungen wird theologisch nachgedacht und visioniert, oftmals hingebungsvoll danach gesucht, was es heisst, Gott im kommenden Evensong zu loben und sein Wort zu verkünden. Viel Persönliches fliesst ein. In Teamarbeit entsteht aus den einzelnen Teilen ein Ganzes. Nach dem Gottesdienst nimmt man sich die Zeit, zu fragen: Was ist heute alles geschehen? Was hat irritiert und was angesprochen? Grosse Bögen und kleinste Details finden gleichermassen Beachtung, von der Grundstimmung der Feier bis zu einzelnen Worten und Handbewegungen.

Der Evensong – ein vielfältiger, reflektierter, lebendiger Gottesdienst. Dank dem Einsatz von Team und Studierenden, dem Wohlwollen unterschiedlichster Menschen und der Freude am Experiment. Dank der Suche danach, was ‘Gottesdienst’ bedeuten kann: Gott zu dienen und Gott uns dienen zu lassen.