Warum Lehrpersonen resignieren
Als Lehrperson zu arbeiten, kann eine einsame Sache sein. Obwohl von einem Team umgeben, sind der eigene Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum und damit auch die Verantwortung gross. Das Psalmgebet kann helfen, sich in seiner Einsamkeit Gott anzuvertrauen und den Blick zu weiten.
Was die Zusammenarbeit im Team angeht, hat sich die Aufgabe der Lehrperson in den letzten 20 Jahren enorm gewandelt. An einer Abteilung sind neben den klassenführenden Lehrpersonen weitere Fachpersonen beteiligt, etwa für Sprachförderung, Schulsozialarbeit, Klassenassistenz, Fremdsprachen, Textiles und Technisches Gestalten oder schulische Heilpädagogik. Trotzdem bin ich als Lehrperson in vielen Situationen auf mich allein gestellt.
Man kann das auch positiv sehen: Was ich tue, ist bedeutungsvoll. Ich leiste einen wesentlichen Beitrag zum Lernen der Schülerinnen und Schüler. Vor der Klasse, beim Vor- oder Nachbereiten treffe ich eigenständig Entscheidungen und nehme Einschätzungen vor – und übernehme für diese auch Verantwortung. Ich habe grossen Gestaltungsspielraum.
Über die Jahre ist mir aber bewusst geworden, dass trotz der grossen Zahl an Involvierten das Unterrichten eine einsame Aufgabe bleibt. Auch dort, wo ich auf ein Team zurückgreifen kann, gibt es nicht einfach eine Lösung. Vielfach sind Situationen so komplex, dass es für alle Beteiligten auch ein Rätsel bleiben kann, was weiterführen könnte. Und nicht zuletzt kommt es vor, dass nicht alle im Team die gleiche Sichtweise haben.
Eine ungesunde Spannung
Diese Stellung der Lehrperson ist Chance und gleichzeitig Spannung. Ich spüre es bei mir selber: Die einzelnen Schülerinnen und Schüler sind mir ein Anliegen. Es ist mir nicht egal, wie sie lernen und wie es ihnen dabei ergeht. Doch manchmal bin ich ratlos. Es belastet mich, wenn das Klima in der Klasse und meine pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten einzubrechen drohen.
Es gibt mir zu denken, wenn mir die Zeit fehlt, allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Ich störe mich daran, wenn mein Blick schnell auf die Schwierigkeiten schwenkt, und ich die vielen tollen und oft überwiegenden positiven Momente aus den Augen verliere. Ich bin der Überzeugung, dass diese Spannung mit ein Grund ist für die gesundheitlichen Gefahren, die mit dem Lehrberuf einhergehen können, für Erschöpfung und Resignation.
Auf die Quelle kommt es an
Die grundsätzlichen Rahmenbedingungen können wir kurzfristig nur schwer beeinflussen. Sie sind von aussen gegeben und unterliegen dem oft schwerfälligen Tempo der Politik. Umso wichtiger ist deshalb, wie eine Lehrperson persönlich mit diesen Spannungen und der damit verbundenen Einsamkeit umgehen kann. Aus welchen Quellen schöpft sie, wenn es schwierig wird?
Die Psalmen sind mir ein Zeugnis, wie Menschen mit Spannungen und Einsamkeit umgegangen sind. Die Basisbibel übersetzt Psalm 102,8 sehr treffend: «Ich finde keinen Schlaf und klage, wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.» Dass Herausforderungen im Beruf zu Schlaflosigkeit führen können, ist vielfältig bekannt. Die Bildwelt des Psalmes lässt diese Erkenntnis aber auf eine tiefere Ebene meiner Wahrnehmung sinken.
So bin ich überzeugt, dass das Psalmgebet ein wichtiges Element für meine pädagogische Aufgabe in der Schule darstellt. Ich beende meine Schulwoche mit einem Psalmgebet. Ich bekenne damit, dass ich meine Herausforderungen benennen muss, dass ich sie Gott anvertraue und im Glauben weitergehen werde. Dass Gott selbst in meinem Schulalltag mitwirkt.
Ich vertraue mich Gott an, der das Gute für den Menschen will. Und ich weiss mich getragen und bin entlastet, dass ich nicht nur aus meinen eigenen Quellen schöpfen muss. Und dabei merke ich, wie sich mein Blick weitet – wie das auch die Psalmisten bezeugen. Es ist gut zu wissen, in meiner Aufgabe nicht allein zu sein. Das schafft Freude und Zuversicht.
Ich wünsche mir, dass Schulleitungen und Behörden – statt unbedacht und vorschnell mit der «Neutralität der Bildung» zu argumentieren – diese Art von Gebet als professionellen Umgang mit den Herausforderungen der pädagogischen Arbeit sehen könnten. Denn Gott mit mir im Schulzimmer zu wissen, ist nicht eine Gefahr, sondern ein wichtiger Faktor für die Qualität meines Unterrichts.
Rico Bossard ist Primarlehrer und Leiter des VBG-Fachkreises Pädagogik.
Dieser Beitrag erschien als Kolumne im Magazin «INSIST».