Das Enneagramm als Landkarte für unsere Persönlichkeit

 

Persönlichkeitstests sind faszinierend. Ein Instrument, mit dem das Mysterium der eigenen Person erforscht werden kann. Das Versprechen lockt: Finde heraus, wer du wirklich bist!

Das Enneagramm ist eine solche Möglichkeit, die eigene Person zu erkunden. Die neunteilige Typologie will jedoch nicht schubladisieren oder festlegen. Sie wirkt wie ein Spiegel, der sehen, entdecken und staunen lässt: Was ist in mir angelegt? Was nimmt mich gefangen? Wie finde ich Wege hin zu grösserer Freiheit? Das Enneagramm kann dabei helfen, den eigenen Stärken und Schwächen auf die Schliche zu kommen und sich und andere besser kennen und akzeptieren zu lernen. Es betont die Würde jedes Menschen und lädt zu Veränderung ein.

Das Enneagramm, eine Landkarte

Der Ursprung der Enneagramm-Typologie ist nicht geklärt. Sie wird verschiedenen jahrhundertealten mystischen Traditionen zugeschrieben, beispielsweise dem Sufismus (islamische Mystik). Das Modell der neun Charaktertypen, wie wir es heute kennen, ist im 20. Jahrhundert entstanden und nicht wissenschaftlich geprüft. Ungeachtet dessen ist das Enneagramm weltweit verbreitet und wird in verschiedenen Religionen und Kulturen gelehrt. Das Enneagramm hat also keinen genuin christlichen Ursprung. Dies bedeutet aber nicht, dass Christen davon nicht Gebrauch machen können: Wer nur von explizit «christlichen» Errungenschaften profitieren wollte, müsste auf sehr viel Hilfreiches verzichten. Entscheidend ist, wie das Enneagramm für unseren Glaubens- und Lebensweg nutzbar gemacht werden kann. Auch die fehlende Wissenschaftlichkeit bedeutet nicht, dass kein Verlass auf das Enneagramm ist; (natur)wissenschaftlich geprüfte Methoden haben nicht die Deutungshoheit über das menschliche Wesen. Nicht die Wissenschaft, sondern eine uralte Tradition spricht für die Validität des Enneagramms. Das Enneagramm ist für Christen wie eine potenziell nützliche Landkarte. Und bevor man mit dieser Karte in die eigene Persönlichkeitslandschaft aufbricht, empfiehlt es sich, diese gut zu studieren.

Raum zur Veränderung

Eine Reise ins Zentrum der eigenen Persönlichkeit ermöglicht es Menschen, ihre Charakterzüge und Handlungsmuster besser zu verstehen. Dieses Verständnis hilft dabei, sich wohlwollend und frei dazu zu verhalten. Raum zur Veränderung entsteht, die Entwicklung zu einem reiferen Selbst wird möglich. Wenn das geschieht, wächst Friede mit sich und der Welt. Das ist auch ein Ziel des Evangeliums: Befreit werden, um die Menschen und die Welt zu lieben. Wenn die Beschäftigung mit dem Enneagramm zu dieser Freiheit verhilft – Halleluja! Doch so hilfreich und faszinierend Persönlichkeitsmodelle wie das Enneagramm sein können – sie sind mit Vorsicht zu geniessen. Grundsätzlich macht eine Beschäftigung mit dem Enneagramm erst ab einem gewissen Alter Sinn. Es gilt: Das Enneagramm ist eine und nicht die einzige Landkarte für unsere Persönlichkeit. Die VBG bietet regelmässig Enneagramm-Kurse an,
welche helfen können, diese Landkarte zielführend zu nutzen. Dabei geht es nicht um reine Wissensvermittlung, sondern um eine Anleitung hin zu einem inneren Weg der Wandlung. Die neun Charaktertypen sind also keine Boxen, in welche Menschen verstaut werden können, sondern Ideal­typen. Keine Person lässt sich auf einen der neun Typen reduzieren.

Wunderbare Landschaft

Denn: Jeder Mensch ist ein einzigartiges Wunder. Wir tragen eine reiche innere Landschaft mit uns herum: Höhen und Tiefen, Wälder und Seen, verborgene Schlupfwinkel und offene Wiesen. Diese Landschaft zu erkunden ist ein Abenteuer, das sich auf jeden Fall lohnt; das Gelände mit Respekt und Sorgfalt zu betreten, ist dabei unabdingbar. Es geht um ein Kennenlernen, das nur das Beste für die Person im Sinn hat. Auch Anstrengung und Schmerz haben Platz in diesem Abenteuer, aber nicht in erniedrigender Weise, sondern als Schritte auf dem Weg hin zu befreiender Umkehr. Wo immer das Enneagramm dazu dienen kann, sich und andere besser zu verstehen und so befreiter zu lieben, ist das ein Geschenk Gottes.