Die unermüdliche Jagd nach Wahrheit
Den eigenen Glauben intellektuell zu verteidigen, fällt vielen Christen schwer. Johanna Mahler-Gündel leitet das Ressort Apologetik der VBG und war als Referentin bei MEHRGRUND 2020 beteiligt, wo sie ein Referat zu Glaubensfragen und Zweifel hielt. Für sie ist Apologetik viel mehr als blosses Argumentieren.
Johanna, was ist «Apologetik»?
Man kann sehr vieles unter Apologetik verstehen. Ich sehe die Apologetik als ein Antwortengeben auf Fragen, die an mich als Christin hingetragen werden. Entweder Fragen, die ich mir selbst stelle oder die mir das Leben stellt. Oder auch Fragen, die mir andere Leute stellen, insbesondere jene, die meinen Glauben nicht teilen. Ich beziehe mich dabei auf 1. Petrus 3,15: «Und seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt.»
In der klassischen Apologetik geht es oft nur darum, den Glauben zu verteidigen, gute Antworten auf intellektuelle Fragen zu geben und das Gegenüber in die Ecke oder in den Himmel zu argumentieren. Für mich geht es aber um mehr als das: Die Apologetik soll schliesslich dazu dienen, Einwände und Hürden abzubauen, die jemanden daran hindern, Gott näher zu kommen. Es soll darum gehen, der Person da zu begegnen, wo sie ihre grossen persönlichen Fragen hat, und sie darin zu unterstützen, Antworten zu finden.
Dieses Verständnis möchtest du fördern.
Genau, ich will Plattformen schaffen, um die schwierigen Fragen and den christlichen Glauben und existenzielle Lebensfragen zu thematisieren und zu diskutieren auf der Suche nach tragfähigen Antworten aus christlicher Perspektive.
Was bringt dich zur Apologetik?
Ich bin von Natur ein kritischer Mensch. Nachdem ich mit 14 Jahren Christin wurde, schloss ich mich einer Kirche an und begann, mich in einem christlichen Umfeld zu bewegen. Da ich wenig Erfahrung und wenig Wissen zum christlichen Glauben hatte, stellte ich viele zum Teil auch kritische Fragen. Leider wurde ich immer wieder mit Floskeln und einfachen Sätzen ruhiggestellt. In mir wurde es dabei nur unruhiger. «Aber warum?», «Ja, aber…», «das macht doch keinen Sinn!», wandte ich wieder und wieder ein. Nicht selten bekam ich die Antwort «Du musst das halt glauben, das steht so in der Bibel.» Ich kam schliesslich zur Ansicht, dass der christliche Glaube den Fragen wohl nicht standhält, verliess die Kirche und fing an, mir immer mehr auch existentielle Fragen über das Leben zu stellen: Hat das Leben einen Sinn? Wie begründe ich, welche Werte mir wichtig sind?
Erst als ich im Masterstudium die VBG-Gruppe an der Uni Basel besuchte, merkte ich, dass es noch viele andere Menschen gibt, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Und dass es aus christlicher Perspektive sehr sinnvolle Antworten darauf gibt. Ich stürzte mich in die Apologetik und fand Schritt für Schritt zurück zu Gott. Nun will ich mit meiner Arbeit Möglichkeiten schaffen, wo Menschen, denen es so geht wie mir damals, ihre Fragen diskutieren können.
Glaube und Zweifel, ist das nicht ein Widerspruch?
Ich finde nicht. Als Christinnen kommen wir nicht drum herum, irgendwann in unserem Leben mit Zweifeln konfrontiert zu sein. Wenn ich in den Evangelien lese, finde ich krass, wie oft auch die Leute, die Tag und Nacht um Jesus waren, zweifelten. Trotzdem braucht er sie und sendet sie aus. Für Gott ist es keine Voraussetzung, dass man alles 100% versteht und von jedem Detail, welches uns in christlichen Kreisen präsentiert wird, vollumfänglich überzeugt ist. Viel mehr will Gott authentische Nachfolger. Für mich können Zweifel sogar sehr positive Auswirkungen haben. Wir sollten uns erlauben, gewisse Glaubenssätze, die man einfach immer hört, in Frage zu stellen und versuchen zu begründen. Bei mir hat dies dazu geführt, dass ich jetzt auf einem festen Fundament stehe, dem ich vertrauen kann, weil ich es selbst geprüft habe.
Natürlich können Zweifel auch negative Züge annehmen. Zum Beispiel wenn man das Zweifeln zur Grundhaltung macht und statt Antworten nur noch die Fragen sucht. Wir sollen schliesslich nicht den Zweifeln nachjagen, sondern der Wahrheit.
Wie zweifelt man denn «richtig»?
Es ist Realität, dass Leute alles Mögliche hinterfragen. Man sollte auf keinen Fall sagen: «Das darfst du anzweifeln und das nicht.» Denn wichtig ist vor allem, dass keine der Fragen unterdrückt wird, dass Leute ermutigt werden, sich mit den Fragen zu beschäftigen. Schlussendlich glaube ich, dass bei Auseinandersetzungen mit Glaubensfragen Gott und meine persönliche Beziehung zu ihm im Zentrum stehen sollten.
Welche Rolle spielt Gott bei deinen Zweifeln?
In der Bibel sehe ich klar, dass er Fragen und Zweifel aushält und mir sogar darin begegnet. Ich sehe aber auch, dass es viele Fragen gibt, die wir nur andenken können. Wir werden nun mal zu Lebzeiten nie die ganze Wahrheit in den Händen halten. Klar, bei einem unendlichen Gott und einem endlichen Menschen. Genau deshalb hoffe und vertraue ich darauf, dass Gott uns die Antworten und das Verständnis dann irgendwann schenkt, wenn wir vor ihm stehen.
Das Hinterfragen ist in der Kirche nicht immer willkommen.
Ich habe sehr viel Verständnis und sogar Sympathie für Menschen, die aus diesem Grund die Kirche verlassen. Vor allem, weil es ja auch meine Geschichte ist. Wenn die Kirche darin versagt, Leuten, die echte Fragen haben, zu zeigen, wie sie damit umgehen können und wo es Antworten gibt – und ich bin überzeugt, die gibt es –, dann fühlen sich diese Menschen nicht willkommen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn sie sich schliesslich von der Kirche und vielleicht auch vom Glauben entfernen. Natürlich ist daran nicht einfach die Kirche schuld. Von Zweiflern erwarte ich, dass sie auch aktiv auf die Suche gehen nach Antworten.
Wie soll man als glaubender Mensch mit zweifelnden Personen umgehen?
Es ist als Erstes wichtig, ein Klima zu schaffen, wo es ok ist, Fragen zu stellen. Eine Kultur, wo man offen über Fragen spricht und gemeinsam mit Zweifeln ringt. Natürlich muss man nicht selbst alle Antworten haben. Manchmal ist es am besten, sich mit den Fragenden gemeinsam auf die Suche nach Antworten zu begeben. Dabei ist es sicher von Nutzen, ein paar Ressourcen zu kennen, wo man nachforschen kann. Wichtig ist auch, nicht nur Antworten zu suchen, sondern auch tiefer zu gehen und zu fragen, ob vielleicht auch etwas anderes hinter den Zweifeln steckt. Vielleicht ein negatives Erlebnis, das besprochen werden sollte? Oder auch die Frage aufzunehmen, wie die Zweifel die Gottesbeziehung beeinflussen. Wenn wir nur auf der inhaltlichen Ebene bleiben, verpassen wir die Chance, Leute näher zu Jesus zu bringen.
Was möchtest du den Zweiflern und Skeptikerinnen auf den Weg geben?
Dass du Zweifel hast und kritisch bist, macht dich weder als Mensch noch als Christin zu einem Sonderling. Das ist ganz normal. Such dir jemanden, mit dem du diesen Fragen nachgehen kannst. Du kannst sie als Chance nutzen, um im Glauben zu wachsen und ein besseres Fundament zu bauen.
Du hast gesagt, die Fragen werden nie aufhören. Was ist deine eigene grösste Frage?
Eine meiner grössten Fragen, die immer wieder aufkommt, ist die Frage nach der Erlösung. Wie bringe ich das Konzept von Himmel und Hölle mit einem gerechten und liebenden Gott zusammen?
Dieses Interview erschien auch auf livenet.ch