Teilen, was mir Freude bringt

Erschreckend viele Kinder verbinden Schule mit Anstrengung und Pflicht. Und die Lehrpersonen klagen über vielfältige Herausforderungen im Lehralltag. Was kann Freude am Lernen und Lehren im Schulkontext ermöglichen?

Ich erinnere mich, wie mein Göttibub jauchzte, als er mit neun Monaten die ersten Gehversuche machte. Hält diese Freude bei nächsten Lernfortschritten an? Meine älteste Tochter taucht momentan in die Welt der Buchstaben ein. Auch sie freut sich, wenn sie – nach einer anstrengenden Entschlüsselung – einzelne Worte oder sogar einen Satz lesen und verstehen kann. Bei den Sechstklässlern an meiner Schule sieht es schon anders aus. Eine schulinterne Umfrage hat ergeben, dass weniger als 50 Prozent von ihnen noch gerne lesen.

Doch nicht nur das Lesen, auch die Schule selbst kann negativ behaftet sein. In meiner Schreibstube hatten die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, einen Text zu verfassen. Thema: «Wenn ich am Morgen aufwache, dann wünsche ich mir …» Die Hälfte der Kinder wünschte sich, dass der Unterricht ausfällt. Im Einzelgespräch fragte ich nach, wie sie denn die Schule erlebten. Die Einschätzung der Kinder war ernüchternd: Die Schule ist anstrengend, man muss lernen, man muss Fehler korrigieren, man erfährt, was man noch alles lernen sollte.

Auch bei Lehrpersonen kann bisweilen die Freude fehlen. An den Regionaltreffen des VBG-Fachkreises Pädagogik höre ich, dass Qualitätsmanagement, Controlling und die anspruchsvolle Zusammenarbeit mit Eltern, die für ihr Kind die bestmögliche Bildung wünschen, für viele Unterrichtende eine Herausforderung sind. Es ist nicht einfach, in einem solchen Umfeld langfristig und gesund die gesellschaftlich wichtige Aufgabe des Lehrens auszuüben.

Es gibt viele Gründe, weshalb einem beim Lehren und Lernen die Freude vergehen kann. Schade eigentlich! «Lehren heisst: Zeigen, was man liebt», sagt der Religionspädagoge Fulbert Steffensky. Ich möchte seine Aussage ergänzen. Lehren heisst: Teilen, was mir Freude bringt. Natürlich kann ein gutes Qualitätsmanagement helfen, optimale Voraussetzungen für das Lernen zu schaffen. Aber ist nicht eine wertschätzende Lernatmosphäre weit entscheidender? Denn Freude ist ansteckend. Sie vermehrt sich, wenn ich sie teile.

Der Blick aufs Positive

Wie kann es gelingen, als Lerngemeinschaft zu staunen und sich zu erfreuen an dem, was gelingt – auch bei all den Fragen um Leistungsdruck, Selektion, Heterogenität, Integration, grosse Klassen, knappe Ressourcen? Wie kann der Blick erhalten bleiben auf die Freude am Wachsen und am Gewachsenen, an Neuem und Gelungenem? Es bringt eine erfrischende Dynamik, wenn wir nicht bloss auf das fokussieren, was fehlt, sondern uns vor allem erfreuen an dem, was aus unseren Anstrengungen entsteht.

Als Vater stellt sich für mich auch diese Frage: Worüber freue ich mich bei der Arbeit der Lehrperson, die mit meiner Tochter unterwegs ist – und wie bringe ich diese Freude zum Ausdruck? Teile ich der Lehrperson die Freude mit, dass meine Tochter lesen lernen durfte?

Der Glaube ermöglicht Weitsicht

Mein Glaube ist ein wesentlicher Schlüssel. «Freuet euch in dem Herrn allewege», schreibt Paulus in seinem Brief an die Philipper. Der Grund für diese Freude? «Der Herr ist nahe!» Paulus stellt die Freude in einen grossen Zusammenhang, in eine Ewigkeitsperspektive: Der Herr ist nahe! Das ist guter Grund und Verankerung der Freude. Eine solche Hoffnung wünsche ich mir für die Bildungslandschaft Schweiz. Eine Weitsicht, die zum Tragen kommt in Schulkommissionen und Schulleitungen, die mutig in die Zukunft blicken, anstatt ihr Handeln auf kurzfristige Bedürfnisse abzustimmen. Die Kraft haben, Raum zu schaffen für einen Unterricht, der Freude ermöglicht – Freude am Lehren und Lernen. Ich wünsche mir Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger, die für verlässliche und starke Strukturen sorgen.

Rico Bossard ist Primarlehrer und Leiter des VBG-Fachkreises Pädagogik.

Dieser Beitrag erschien als Kolumne im Magazin «INSIST».