Hoffnung mit Herz und Hirn: ein Gespräch mit Heike Breitenstein

Liebe Heike, du bist Bildungsreferentin beim Pontes-Institut. Was genau machst du?

Heike Breitenstein: Als Pontes Institut ist uns wichtig, dass wir Brücken zwischen Denken und Glauben bauen, dass wir Wissenschaft, Kultur und Glaube miteinander ins Gespräch bringen. Deshalb stehen wir für einen Glauben mit Herz und Hirn – einerseits wollen wir Leuten, die dem Glauben gegenüber skeptisch sind, zeigen, dass es emotionale, rational und existenziell gute Gründe gibt, um an Jesus zu glauben. Andererseits wollen wir Christinnen und Christen helfen, sprachfähig zu werden, indem sie ihren Fragen zum Glauben nachgehen. Diesen Fragen Raum zu geben, bedeutet, dass man selbst von der Schönheit, Kraft und Wahrheit des Evangeliums neu berührt wird. Und das schenkt neues Selbstvertrauen, neues Jesusvertrauen, es mit den Menschen im eigenen Umfeld zu teilen.

Schönheit und Kraft und Wahrheit des Evangeliums – welches der drei beschäftigt dich gerade am meisten?

Dadurch dass wir stark von der Aufklärung und der Moderne geprägt sind, denken wir, dass es hauptsächlich rationale Gründe für den Glauben braucht. Aber unsere Gesellschaft und ihre Fragen haben sich geändert. Es ist mir deshalb wichtig, dass wir lernen die «better story» zu den Fragen unserer Zeit zu erzählen. In seinem Buch «Narrative Apologetics» spricht Alister McGrath in Anlehnung an C. S. Lewis davon. Das Evangelium ist nicht nur rational glaubwürdig, sondern vor allem eine schöne und existenziell erfüllende Geschichte. Wenn ich mir wie ein Detektiv die ganzen Puzzleteile davon anschaue, wie die Welt ist und wie wir Menschen sind, dann erkenne ich: Die Puzzleteile passen in der Geschichte, die das Christentum erzählt, am besten zusammen. Durch diese Geschichte macht alles am meisten Sinn, denn auch wenn Fragen offen bleiben, ist es eine Geschichte, nach der ich leben kann.

In Vorträgen und Fragerunden lege ich grossen Wert darauf, dass neben den rationalen Aspekten auch die transformatorische Kraft und Schönheit des Evangeliums deutlich werden. Denn diese haben wir als Christinnen und Christen selbst erlebt und sie haben unser Leben verändert. Unser Zeugnis davon gibt anderen einen Vorgeschmackdavon und soll Interesse wecken, die Welt einmal mit anderen Augen zu sehen.


Zur Person

Heike Breitenstein ist Bildungsreferentin des Pontes Instituts für Wissenschaft, Kultur und Glaube in der Schweiz. Neben ihrer Teilzeitanstellung beim Pontes Institut promoviert sie am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Zürich und engagiert sich ehrenamtlich bei der christlichen Studierendenbewegung VBG. Sie lebt in Bern und liebt die Berge.


Du bist nicht nur Referentin, du schreibst auch an deiner Doktorarbeit. Was genau ist dein Thema und wie bist du darauf gekommen?

In meiner Doktorarbeit beschäftige ich mich mit der Hoffnungskommunikation des christlichen Glaubens und wie dies eine neue Form von Apologetik sein kann. Apologetik gründet auf 1. Petrus 3, 15. Da heisst es, dass wir Rechenschaft über die Hoffnung in uns geben sollen. Somit spielt sie eine entscheidende Rolle darin, wie wir über den Glauben sprechen. Obwohl in 1. Korinther 13 doch «Glaube, Hoffnung und Liebe» genannt werden, kommt die Hoffnung im christlichen Kontext manchmal ein bisschen zu kurz. Dabei haben sich die ersten Christen und Christinnen durch ihre Hoffnung von den anderen Menschen unterschieden. Sie wurden nach ihrer Hoffnung gefragt, weil diese bei Griechen oder Heiden der damaligen Zeit zum Teil verpönt war. Unsere Gesellschaft beschäftigt das Thema Hoffnung wieder stärker. Stichworte wären Klimawandel oder die Corona-Pandemie.

Weshalb fällt es uns schwer, mit dem Thema «Hoffnung» auch wirklich Hoffnung zu machen?

Das Thema Hoffnung hat ein schwieriges Erbe und das zu gutem Recht. Religionskritiker wie Nietzsche und Marx haben der christlichen Welt vorgeworfen Menschen aufs Jenseits zu vertrösten und somit passiv zu bleiben und nicht nach einer Verbesserung dieser Welt zu streben. Aber christliche Hoffnung ist kein passives Warten auf den Himmel. Es geht um die Erneuerung und Verwandlung dieser Erde. Dass Gott das, was er in der Auferstehung an Jesus getan hat, für die ganze Welt Realität werden lässt. Deshalb hat Bonhoeffer zur Treue zu dieser Erde aufgerufen: Er geht davon aus, dass Gott die Erde erneuern wird. Wenn diese Erde eine Zukunft hat, dann gehe ich anders mit ihr um.

Klar, das, was ich tue, bleibt immer ein Fragment, etwas Bruchstückhaftes. Aus atheistischer Perspektive müsste ich sagen, dass unser Leben mit all unserem Einsatz für die Welt ein Fragment des Todes ist. Die Welt geht irgendwann zu Ende. Auch aus christlicher Perspektive ist mein Leben ein Fragment. Aber es ist ein Fragment der Schönheit des kommenden Reiches Gottes. Es hat Zukunft und weist jetzt schon auf diese Zukunft Gottes hin.

Welche Auswirkungen hat Hoffnung und wie lebt man sie praktisch?

Wenn wir die Hoffnungsperspektive stärken, dann macht uns das zu Menschen, die vertrauensvoll in die Zukunft schauen. Frère Roger, der Gründer und erste Prior der Gemeinschaft von Taizé hat einmal gesagt: «Wer Vertrauen hat, geht der Verantwortung nicht aus dem Weg, sondern kann aufrecht stehen bleiben, wo die Gesellschaft aus den Fugen gerät.» Angesichts der Krisen in dieser Welt brauchen wir Leute mit dieser Sicht. Wenn wir die Hoffnungsdimension, die Hoffnungskraft und das Vertrauen stärken, das macht uns zukunftsfähig.
Praktisch heisst das in der Spannung vom Sich-Einsetzen für Gerechtigkeit und dem Ins-Gebet-Gehen zu leben – in der Spannung zwischen Aktiven und Kontemplativen. Ja, mein Einsatz ist wichtig, aber ich bin nicht die Retterin der Welt. Nur Gott kann diese Welt retten und verwandeln und sein Reich Realität werden lassen.

Hast du eine Art und Weise gefunden, wie du diese Spannung leben kannst?

Ich bin ein Teil des Stadtklosters Frieden in Bern. Wir sind eine Gemeinschaft von Leuten, die das Leben teilen, die zusammen arbeiten und die gemeinsam beten. Wir treffen uns unter der Woche fast täglich zum liturgischen Abendgebet. Das hilft mir einen guten Rhythmus zu leben und gute Strukturen in meinem Leben zu etablieren. Als das Projekt in meiner Nachbarschaft gestartet ist, war ich ein paar Mal beim Gebet dabei und hab schnell gemerkt, dass mich das fasziniert. Ich habe gemerkt, wie gut es tut mit Menschen, die ich kenne, bewusst den Tag im Gebet abzuschliessen. Es hat meine Perspektive auf den Tag verändert. Durch das Innehalten und Gott hinlegen bin ich verändert nach Hause gegangen. Aber nicht nur der Rhythmus ist mir eine Stütze, sondern auch die Gemeinschaft.

Inwiefern ist Gemeinschaft dabei entscheidend?

Dafür gibt es soziologische und theologische Gründe. Die Soziologen Luckmann und Berger sprechen davon, dass es «Plausibilitätsstrukturen» braucht. Sie gehen davon aus, dass Religion und Moral auf soziale Bestätigung angewiesen sind. Plausibilitätsstrukturen sind soziokulturelle Kontexte, in denen eine Weltanschauung sinnvoll oder plausibel ist. Sie betonen, dass man religiöse Überzeugungen nur aufrechterhalten kann, wenn man Teil einer Gemeinschaft ist, die dieselbe Sprache spricht und dieselbe Wirklichkeit bewohnt. Solange das christliche Narrativ überall vorhanden war, wurde die Plausibilitätsstruktur gewahrt. Ich glaube, je stärker wir in einer Minderheitssituation sind, umso wichtiger ist es selbst Teil von einer christlichen Gemeinschaft zu sein, um weiter glauben zu können. Theo­logisch ist klar, dass Glaube Gemeinschaft braucht und in Gemeinschaft geschieht. Luckmann und Berger, würden sagen, Paulus ist vielleicht in der Einsamkeit seiner Ekstase Paulus geworden, aber er konnte nur Paulus bleiben, weil er Teil einer Gemeinde war.

Durch verschiedene Lebensabschnitte und Wohnorte werden wir meist aus gewohnten Gemeinschaften herausgerissen. Warum ist es wichtig, sich (vor Ort) eine christliche Gemeinschaft zu suchen?

Ich finde es wichtig, realistische Erwartungen an eine Gemeinschaft zu haben. Eine christliche Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht perfekt sind. In dieser Gemeinschaft gibt es wunderbare Momente und gleichzeitig erleben wir sie aber auch als einen Ort, an dem es zu Verletzungen und Enttäuschungen kommt. Und trotzdem glaube ich, dass die anderen und ihre Art zu glauben mich bereichern und bestätigen, mich aber auch herausfordern.

Das, wofür die VBG Raum gibt, ist wichtig, und zwar, dass ich mich mit anderen Glaubensbewegungen und Glaubenstraditionen auseinandersetzen muss. Dass ich mir selbst Fragen stelle wie: Warum ich glaube, was und wie ich glaube – warum nicht anders? Woher komme ich eigentlich? Oder manches von meinem eigenen Hintergrund recht kritisch hinterfrage. Das sind diese Prozesse, wodurch sich mein eigener Glaube und mein eigenes Bild davon formen. Ich bin überzeugt, dass es essenziell ist, darüber im Austausch und in der Diskussion miteinander zu sein, denn so wächst mündiger Glaube.

Wie könnte das praktisch ausserhalb der VBG aussehen?

Das Stadtkloster Projekt ist für mich ein Beispiel für neue Gemeinschaftsformen. Ich bin überzeugt, dass Menschen für Verbundenheit gemacht sind. Aber wir erleben momentan, dass Menschen eher in der Vereinsamung leben. Dass man stark auf die Kernfamilie bezogen ist, vielleicht manchmal auch sehr vereinzelt als Single unterwegs ist. Einsamkeit ist ein grosses Thema. Ich glaube, dass wir neue Bilder, neue Formen davon brauchen, wie wir miteinander in Verbundenheit leben können. Deshalb ist es uns wichtig zu zeigen, dass es noch andere gemeinschaftliche Lebensformen gibt. Bei uns wird natürlich viel erprobt und es ist nicht alles perfekt, aber es ist total spannend so miteinander auf dem Weg zu sein.

Wenn es so eine Möglichkeit bei mir nicht gibt – wie könnte ich es trotzdem in meinem Leben umsetzen?

Ich denke, es ist wichtig Teil einer Gemeinde oder einer verbindlichen christlichen Gemeinschaft zu sein. Das sind dann auch Orte, wo ich eigenen Glaubensfragen und Zweifeln nachgehen kann. Ich wünsche mir, dass unsere Gemeinden und christliche Gemeinschaften Orte sind, wo wir eine gesunde Spiritualität im Alltag einüben und wo ein ehrlicher, reflektierter Glaube gelebt wird. Wenn wir Glaube mit Herz und Hirn leben, wird es auch natürlich, dass wir Jesus Zeuginnen und Zeugen in unserem Alltag sind. Dass wir nach der «besseren Geschichte» leben und diese freudig weitererzählen.

Pontes Institut

Online-Kurse in Apologetik für Einzelpersonen und Gruppen. Eigenen herausfordernden Glaubens­fragen nachgehen und sprachfähig werden: www.pontesinstitut.org/kurse.

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