Abschied und Neuanfang: Ein Gespräch mit Doris Liechti, Lukas Wellauer und Christoph Egeler
Die VBG erlebt momentan viele Veränderungen: Lukas Wellauer hat im Juni die Gesamtleitung der VBG von Christoph Egeler übernommen, der noch ein Jahr Leiter des Bereichs Beruf bleibt, bevor er sich ganz als Mitarbeiter von der VBG verabschiedet. Doris Liechti, Delegierte und Stellvertreterin des VBG-Leiters, wird Ende September 2024 ihre 27-jährige Karriere bei der VBG beenden. Hier kommen die drei zu Wort: Wie schauen sie zurück, wie nach vorne? Was wird in Erinnerung, was wichtig bleiben?
Liebe Doris, lieber Lukas, lieber Christoph – gibt es etwas, wofür ihr in der VBG berüchtigt seid?
Lukas: Im VBG-Büro in Bern haben wir eine Clean Desk Policy. Alle halten sich daran – ausser mir. Es ist wirklich ziemlich schlimm, es haben sich dort einmal sieben Kaffeetassen aufs Mal gestapelt…
Doris: Christoph hält immer Mal wieder nach einem Zmittag Ausschau: Hat jemand vielleicht ein bisschen zu viel dabei?
Lukas: Stimmt – und es kommt immer ein bisschen indirekt, im Sinne von: Oh, das sieht aber lecker aus!
Christoph: Eigentlich geht es mir nur darum, Foodwaste zu verhindern.
Lukas: Das Gute daran ist, dass jetzt alle ihr Essen anschreiben.
Lukas: Im Bereich Studium wurde ich zudem immer aufgezogen damit, dass ich aus allem ein Spiel machen und neue Methoden einführen wollte.
Wirst du das auch als Gesamtleiter so machen?
Lukas: Auf jeden Fall! (lacht)
Christoph: Er hat ja schon damit angefangen.
Doris: Das ist auch etwas Schönes!
Christoph: Es ist eine deiner Stärken, nur manchmal ist es vielleicht etwas viel.
Lukas: Gabe und Gefährdung.
Doris und Christoph: Welche Spuren, die ihr in der VBG hinterlässt, sollen nicht verwischt werden?
Doris: Etwas vom Wichtigsten ist die Berufung der Mitarbeitenden und deren Begleitung.
Christoph: Stimmt. Menschen fördern – darin haben wir die meisten Spuren hinterlassen. Viele Mitarbeitenden hören nach vier bis acht Jahren wieder auf, ziehen weiter in der Arbeitswelt und können ihre Berufsfelder hoffentlich positiv prägen.
Doris: Mir war es auch ein Anliegen, dass die Arbeit nicht zu sehr aufs Administrative reduziert wird, sondern ihren Schwerpunkt mehr in der Begegnung, im gemeinsamen Erleben und in einer Kultur des Miteinanders hat.
Christoph: Ich habe in der VBG auch gelernt, nicht nur ein «hirtischer», sondern auch ein strategischer Leiter zu sein.
«Hirtisch»?
Christoph: Das habe ich vermutlich von Rolf Lindenmann aufgeschnappt. «Hirtisch» bedeutet, eher auf die Menschen fokussiert zu sein, beim Strategischen wird gefragt: Was machen wir überhaupt, was ist unser Ziel? Ich glaube, wir drei hier haben mitgeprägt, welchen Fokus die VBG heute hat. Das wird sich hoffentlich als nachhaltig erweisen.
Doris: Die Verbundenheit mit den Ferienzentren Rasa und Moscia ist uns auch sehr wichtig. Erfreulicherweise ist diese in den letzten Jahren gewachsen.
Christoph: Apropos Verbundenheit: Dazu gehört auch das Verbinden von verschiedensten Charakteren; ich denke, wir haben eine Ergänzungskultur geprägt und gefördert.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in «Gemeinsames Leben», dass wir als Christen keinem Ideal einer christlichen Gemeinschaft nachstreben sollen, weil wir dadurch stets etwas Eigenes einfordern, statt der göttlichen Wirklichkeit Raum zu geben. Vielmehr sollten wir für jeden Kontakt mit Mitchristinnen dankbar sein – sei er auch noch so anstrengend und von Fehlern geprägt. Könnt ihr da zustimmen?
Lukas: Amen. (lacht)
Christoph: Ja – das Ergänzungsprinzip gilt bezüglich Persönlichkeitstypen und Fähigkeiten, aber auch bei theologischen Positionen. «Wenn alle so wären wie ich, wäre die Welt besser» – das wird teilweise gedacht. Ja, vielleicht wäre die Welt einfacher, aber sicherlich nicht besser, sondern schlechter, weil einseitiger und ärmer. Das gilt auch für die VBG.
Doris: Für mich bedeutet es, andersartigen christlichen Gemeinschaften gegenüber offen und respektvoll zu begegnen und das Zusammensein von unterschiedlichen Traditionen zu leben. Ich empfinde es als bereichernd, dass die VBG-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in unterschiedlichen Kirchen beheimatet sind. Das hilft sehr, allfällige Vorurteile abzubauen.
Lukas: Ich verstehe Bonhoeffer so, dass es nicht um den Wert der Gemeinschaft an sich geht, sondern darum, Gott näher zu kommen und die Nachfolge zu fördern. Im Leitungsteam der Studierenden in Bern wurde das immer wieder zum Thema. Oft wurde gesagt: Komm, lass uns doch etwas unternehmen, es ist immer so schön! In diesen Momenten habe ich jeweils versucht, durch kritische Fragen den Fokus aufs Wesentliche zu lenken.
Wie kann man mit eigenen Idealen bezüglich der VBG umgehen?
Doris: Die VBG ist eine Bewegung. Sie hat in der Vergangenheit verschiedene Schwerpunkte gehabt, die verändern sich, das gehört dazu – und dennoch bleibt die gute Nachricht von Jesus Christus unser Zentrum.
Lukas: Zugleich finde ich die Frage spannend, wie wir es schaffen, dass die VBG eine Bewegung bleibt und nicht jemand ein Ideal «durchdrückt».
Das solltest gerade du als Leiter ja nicht machen…
Lukas: Ich glaube, unsere Struktur hilft da schon sehr. Als Leiter hat man zwar Einfluss, teilweise auch mehr, als man sich bewusst ist. Aber die Grundhaltung der VBG und ihre Alltagspraxis fördern eine Beteiligungskultur. Zudem muss ich mir als Leiter meinen Begrenztheiten immer wieder bewusst werden – das ist ein Lernprozess…
Doris, was kann Lukas als neuer Leiter der VBG bewirken?
Doris: Eine wichtige Grundlage ist gegeben: Lukas ist vom Auftrag und vom Leitbild der VBG begeistert. Ich mache dir Mut, Lukas, mit deiner kreativen Art, deiner Liebe zu den Menschen und zu Gott gemeinsam mit der Werkleitung die VBG zu prägen. Ich wünsche mir für dich, dass auch du eine Stellvertretung und Delegierte hast, mit der oder dem du dich treffen, zusammen beten und wirken kannst.
Christoph, was wird die VBG vermissen, wenn sich Doris aus der Leitung verabschiedet?
Christoph: Mit dem Abschied von Doris geht eine sehr lange VBG-Geschichte zu Ende. Dieser grosse Bogen wird einfach fehlen. Auch dein Pragmatismus, Doris. In Diskussionen hast du manchmal im richtigen Moment eine Entscheidung gefällt: So und so machen wir das jetzt.
Lukas: Ja, Doris kann auf den Punkt kommen und einen Entscheid fällen. Darin bist du stark.
Christoph: Es werden auch deine persönliche Note, deine handgeschriebenen Geburtstagskarten fehlen. Dein Zugang zu Menschen, besonders zu Frauen, die du begleitet hast. Wie du Retraiten und Feste mitgestaltet hast – es wird etwas von deiner Handschrift, Farbe, Wärme verloren gehen.
Lukas: Und das mehrstimmige Singen!
Lukas, was wird fehlen, wenn Christoph geht?
Lukas: Eine deiner herausragenden Stärken, Christoph, ist es, zu integrieren und auszugleichen. Das wird uns als VBG fehlen. Ich kenne niemanden, der so konsensorientiert ist wie du. Der Spannungen mit so viel Geduld aushält. Persönlich verliere ich auch ein interessiertes und interessantes Gegenüber. Vor ein paar Tagen haben wir am Ende eines Telefonates noch zwei Minuten übers Wäschemachen geredet. Das ist vielleicht völlig belanglos, aber ich habe es geschätzt, dass neben herausfordernden Themen auch Platz war für Koch- und Buntwäsche. Ach, und wir werden in Zukunft mehr Essen übrig haben. (lacht)
Sind beim weiteren Übergang der Leitung Schwierigkeiten zu erwarten?
Lukas: Ja, auf jeden Fall. Viele Veränderungen bedeuten immer gewisse Schwierigkeiten: Unklare Zuständigkeiten entstehen, Abmachungen müssen neu getroffen werden. Wir bemühen uns natürlich; Schwierigkeiten gehören aber dazu. Ich werde auch einige Dinge anders machen und oftmals mögen Menschen Veränderungen nicht.
Lukas, Doris und Christoph haben deine Arbeit «vorbereitet» – wofür bist du dankbar?
(Lukas überlegt lange. Schliesslich lachen alle, weil ihm nichts in den Sinn zu kommen scheint.)
Lukas: Ich bin wohl kein so dankbarer Mensch! Nein, es sind schlicht so viele Sachen und vieles habe ich auch schon gesagt. Zentral ist jedoch, dass wir in der VBG grundsätzlich gut miteinander auskommen und gemeinsam unterwegs sind. Es ist nicht so…
Doris: …dass nach uns gleich die Sintflut kommt! (lacht)
Lukas: Nein, wirklich nicht. Es ist eine sehr schöne gelebte echte Kultur. Das habt ihr wesentlich geprägt in den letzten Jahren.
Doris, Christoph, wollt ihr Lukas noch etwas auf den Weg mitgeben?
Christoph: Die Werkleitung hat heute mehr Gewicht als noch vor 20 Jahren. Man ist nicht alleine als VBG-Leiter – und ich hoffe, dass diese Kultur so bestehen bleibt. Ich wünsche dir, dass du eingebettet in einer guten Gemeinschaft bist, die deine Verantwortung, die auch eine Last ist, mittragen kann.
Doris: Mir kommt eine kurze Geschichte in den Sinn: Da sind zwei Holzfäller; der erste hackt den ganzen Tag Holz ohne Unterbrechung. Der zweite arbeitet ebenfalls, gönnt sich jedoch immer wieder mal eine Pause. Am Ende des Tages hat der zweite Arbeiter sogar mehr Holz gehackt. Da fragt der erste Holzfäller den anderen: Wie ist das möglich, dass du mehr Holz gehackt hast als ich? Der zweite antwortet: Ich glaube, eins hast du übersehen, ich habe zwischendurch jeweils meine Axt geschärft. Das wünsche ich auch dir, Lukas: Dass du Oasen und Zeiten hast, wo du «deine Axt» schärfen kannst!
Lukas: Und damit Bäume fällen. Ich hacke nämlich sehr gerne Holz! (lacht) Danke für dieses schöne Bild.
Christoph: Ich wünsche dir auch, dass du deine Stärken einbringen kannst und einen guten Mix erlebst von Sachen, die im Flow sind, und Sachen, die mühsam sind.
«VBG mal ganz anders» – was kommt euch in den Sinn?
Lukas: Es gibt keine Mitarbeitenden mehr, sondern nur noch Wohngemeinschaften, Studis in allen grossen Städten, wo man die VBG-Kultur einfach so lebt.
Doris: Rektoren von Universitäten rufen bei der VBG an und fragen, ob wir zufällig noch ein paar freie Mitarbeitende haben. Sie möchten neue Stellen zur Begleitung und Ermutigung der Studierenden gründen und finanzieren und bräuchten nur noch die passenden Leute dazu.
Was bedeutet es für uns Christen und Christinnen, zu hoffen?
Lukas: Hoffnung drückt sich für mich dadurch aus, dass man sich einsetzt. Dass man nicht nur «ein bisschen Hoffnung» hat, sondern Verantwortung übernimmt, aus der dann Handlungen folgen. Gleichzeitig beinhaltet Hoffen das Wissen, dass man nicht allein verantwortlich ist für diese Welt.
Doris: Ich stimme Luthers Aussage zu: «Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen» – und dies mit Überzeugung und Freude. Hoffnung bedeutet zudem für mich, zu wissen: Ich bin geliebt! Das hilft mir, meine Nächsten und mich selbst zu lieben. Ich will wach sein und mich immer wieder fragen: Was brauchen die anderen – und was brauche ich selbst? Schliesslich trage nicht ICH die Welt, aber ich will Hoffnungsspuren in meinem Umfeld hinterlassen.
Christoph: Ich bin ein Fan von Spannungsfeldern und auch hier sehe ich eins: Hoffnung soll auf der einen Seite nicht in einer Jenseitsorientierung aufgehen, die die Welt schon abgeschrieben hat und nur noch auf den Tag wartet, da alle Tränen abgewischt werden. Auf der anderen Seite darf auch nicht das naive Bild entstehen, dass wir eigenhändig die Welt retten könnten. Verantwortung aus christlicher Ethik ist etwas dazwischen: Hier und Jetzt das Bäumchen zu pflanzen, tätige Hoffnung zu leben – mit Blick auf die göttliche Ewigkeitsperspektive.
«Dankbar rückwärts, freudig vorwärts»
Während fast 10 Jahren hat Christoph Egeler die VBG umsichtig geleitet. Durch viele Herausforderungen und Veränderungen – denken wir z.B. an die Zeit der Pandemie, an das neue VBG-Haus, an Moscia 2022 – hat er die VBG mit Sorgfalt navigiert und dabei immer den Blick für das geistlich Wesentliche, das Gemeinsame und Verbindende behalten. Danke Dir, Christoph – und wir sind froh, bleibst Du weiterhin im Bereich Beruf engagiert! Mit ihm beendet auch Doris Liechti ihre Anstellung in der VBG, zuletzt als Stellvertreterin und Delegierte des Werkleiters. Sie hat die VBG während Jahrzehnten in unterschiedlichsten Funktionen geprägt und mit ihrer verbindlichen Beziehungsarbeit schier unzählige Menschen im Leben und Glauben ermutigt. Danke Dir, Doris – und wir freuen uns, wirst Du der VBG weiterhin verbunden bleiben, unter anderem als Kursleiterin!
Mit Lukas Wellauer hat der Vorstand den Leiter für die nächste Etappe der VBG berufen. Die Begeisterung von Lukas für die VBG, ihren Auftrag und ihre Ziele, seine Sicht für das Potenzial von Menschen und das Wirken Gottes sowie seine Leitungsqualitäten haben uns überzeugt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Gott mit Dir, Lukas – viel Segen und Weisheit für Deine vielfältigen Aufgaben!
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Für den Vorstand, Simone Wyss (Vizepräsidentin)
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