Auf der Suche nach einer gesunden Theologie
Auf viele Fragen scheint die Bibel widersprüchliche Antworten zu geben: Ist Gott voller Liebe oder ein strenger Richter? Warum ist «Glaube ohne Werke tot» (Jakobus), wenn wir doch «aus Gnade allein und nicht durch Werke gerettet» (Paulus) sind? Ich glaube, dass es sich dabei nicht um Widersprüche handelt, sondern um Spannungsfelder, welche die Bibel nicht einseitig auflöst. Deshalb sollten auch wir es nicht tun! Thomas Härry formuliert das so: «Viele Wahrheiten des Glaubens stehen nicht absolut da – es gibt einen gegenüberliegenden Pol dazu. Damit meine ich nicht eine Gegenwahrheit, welche die erste auflöst, sondern eine, die sie ergänzt. Eine, die komplementär ist, nicht konträr (obwohl sie auf den ersten Blick so erscheinen mag).»
Nicht einseitig vom Pferd fallen
Eine ungesunde Theologie liegt meiner Meinung nach vor, wenn man das nicht erkennt oder nicht aushält, sich auf einen «Pol» einschiesst und damit einseitig vom Pferd fällt. Die Bibel als Gesamtzeugnis bietet einen grösseren Rahmen, an dem wir uns orientieren und in dem wir uns bewegen können, ohne Bibelstellen gegeneinander auszuspielen oder aus einzelnen Bibelstellen eine ganze Theologie zu machen. Das führt zu einem reifen, weiten und gleichzeitig tiefen Glauben, der aus der ganzen Fülle von Gottes Wort schöpft, anstatt in Verkürzungen, Einseitigkeiten oder Schwarz-Weiss-Denken zu verfallen.
Nicht nur die Bibel ist mehrdimensional
Nebst biblischen Polaritäten bzw. Spannungsfeldern wimmelt es im christlichen Glauben auch sonst von Vielschichtigem und Mehrdeutigem: Denken wir nur an Gott selbst, der nach der Trinitätslehre einer und gleichzeitig drei ist! Der Gott, der mit uns in Beziehung sein möchte, ist in sich selbst Beziehung. Einheit oder Vielfalt? Beides gleichzeitig! Oder erinnern wir uns an Situationen, in denen wir Gott erleben und spüren – und an andere, wo er (scheinbar) schweigt oder weit weg ist. Beides gehört zum Glaubensleben: das «schon jetzt» und das «noch nicht».
Glauben mehrdimensional gestalten
Auch in der persönlichen Spiritualität ist es wertvoll, mehrdimensional zu leben und von verschiedenen christlichen Bewegungen und Traditionen zu lernen. Das pflegen wir in der VBG seit Jahrzehnten, zum Beispiel mit dem Gruppenheft «Glauben gestalten». Ein solch ganzheitlicher und «mehrdimensionaler» Glaube macht für mich eine gesunde Theologie und Spiritualität aus. Er ist tragfähig, macht sprachfähig, führt in die Weite und lässt Menschen aufblühen. Ein gesunder Glaube ist weder verkürzt oder fundamentalistisch, noch führt er in liberale Beliebigkeit oder eine Grundhaltung der Kritik, des Misstrauens oder des Dekonstruierens. Er ist christuszentriert und biblisch fundiert.
Einen solchen gesunden Glauben durfte ich in der VBG lernen und erfahren – und auch lehren und weitergeben. Letzteres nun auch mit meinem neu erschienenen Büchlein, dessen Verbreitung mich freuen würde: «Mehrdimensional glauben».
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