Das ist doch alles Geschichte
Im Hier und Jetzt zu leben, gilt im Zeitalter der grossen Ablenkungen – zu Recht – als eine besondere Tugend. Was kümmert einem da die Vergangenheit, die ist vorbei. Viel eher soll der Mensch seine Gegenwart und Zukunft aktiv gestalten. Nur gestaltet er diese oft nach den Geschichten, die er sich selbst erzählt. Er ist ein homo narrans, ein erzählendes Wesen, ein Geschichtswesen im doppelten Sinne: mit einer Vergangenheit und Geschichte(n) im Gepäck. Was heisst das für uns Christinnen und Christen und die Kirche?
Jenseits des Unrechts
Fällt das Stichwort Kirchengeschichte, tauchen nicht nur bei kirchenkritischen Personen zahlreiche Schreckensbilder auf: Kreuzzüge, Hexenverfolgung, Inquisition – you name it.
Oft sind diese Bilder aber schwammig, teilweise falsch und wiederum Teil einer humanistisch-aufklärerischen Erzählung über das dunkle christliche Mittelalter. Unrecht im Namen des Christentums hat es zahlreich gegeben und gibt es auch weiterhin, das gilt es anzuerkennen, aber: Das ist nicht das vollständige Bild.
Wer sich mit der Geschichte auseinandersetzt, bemerkt zumindest eines: Machtstreben und Gewalt sind omnipräsent. Sie sind universeller Bestandteil der menschlichen Geschichte, sie sind Teil des Menschenseins.
Dem gegenüber steht das Leben und die Botschaft von Jesus Christus. Einer Person, die aufopferungsvoll und pazifistisch bis zum Sklaventod am Kreuz einen Gegenentwurf gelehrt und gelebt hat. Sind sein Beispiel und seine Forderung der Nächsten- und Feindesliebe wirkungslos im Nichts verhallt? Nein. Wer sich aus dem gängigen Narrativ der christlichen Unrechtsgeschichte löst, kann viel Gutes und Schönes finden.
Glaube, der gestaltet
Die ersten für alle zugänglichen Spitäler mit integrierter Altenpflege und Armenfürsorge wurden vom Bischof Basilius im 4. Jahrhundert gegründet. In den darauffolgenden Jahrhunderten entwickelte sich in Europa ein ausgeprägtes kirchliches Sozial- und Spitalwesen. Das Jesuswort aus Matthäus 25,40 „was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ wurde wirksam.
Heute ist die medizinische Grundversorgung ein allgemeines Menschenrecht, eine zumindest ideelle Selbstverständlichkeit, wenn wir von einem humanen und würdevollen Umgang miteinander sprechen.
Die jüdisch-christliche Vorstellung, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, und damit gewollt und wertvoll ist, bildet eine wichtige Grundlage für die unantastbare Würde jedes Menschen und damit auch die Menschenrechte.
Es lassen sich weitere Beispiele nennen, in denen Christen und Christinnen aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus Gutes bewirkt haben: Die Ächtung und Eingrenzung von Kriegen durch Augustinus, die Gründung von Universitäten, die Abschaffung der Sklaverei, die Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King – und viele mehr. Diese Geschichten dürfen und müssen erzählt werden.
Eine Geschichte, die uns zur Verantwortung ruft
In der Zuspitzung und Universalisierung der jüdischen Ebenbildlichkeit und Liebesethik durch Jesus finden wir einen einzigartigen christlichen Beitrag zur Geschichte. Die Jesus-Botschaft ist der Massstab, nach dem wir Unrecht von tiefstem Herzen verurteilen und zugleich die Richtschnur, an der wir uns ausrichten sollen. Sie ist die Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt und die dann unser Leben und die Gesellschaft formen kann.
Zum Autor
David Beynon ist Historiker, Lehrperson und Regionalleiter bei der VBG. Ihn begeistert die Geschichte, die christliche Story und Menschen.
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